1.11.3 Die Corioliskraft

In Abfüllanlagen findet man manchmal große, vibrierende Röhren, mit denen durchfließende Flüssigkeitsmassen mit sehr hoher Genauigkeit gemessen werden können. Es heißt, die Fließgeschwindigkeit (der Massedurchfluss) werde mit Hilfe einer Corioliskraft bestimmt.


Was ist dies für eine Kraft und wie kommt sie zustande?

Abb. 1                      Abb. 2


Aufbau und Funktionsweise eines Coriolisdurchflussmessers

In Abb. 1 sehen wir ein gebogenes, von Wasser durchflossenes Rohr (Fließgeschwindigkeit v). Wenn dieses am Boden befestigte Rohr so zum Schwingen angeregt wird, wie es die beiden Pfeile am Scheitel des Rohrs in der Abb. 1 anzeigen, dann machen sich am linken und rechten Schenkel hin- und her biegende Kräfte F bemerkbar, unter denen das Rohr noch eine Drehschwingung um die in der Abb. 2 gezeichnete Achse A ausführt.

Die zur Strömungsgeschwindigkeit v proportionale Amplitude dieser Drehschwingung ermöglicht die Bestimmung von v mit sehr hoher Genauigkeit. Im Handel (Hersteller: Firma Endress+Hauser in Reinach bei Basel) gibt es Coriolis-Masseflussmeßgeräte für unterschiedlichen Bedarf über mehr als sieben Größenordnungen (von etwa 20 mg/s bis etwa 600 kg/s) mit großer Genauigkeit (0,1%).

Wie kommt es zu diesen Kräften F ?

Zur Erklärung dient die Abb. 3. Zu sehen ist eine kleine Lokomotive L auf einer Schiene, die auf einer mit der Winkelgeschwindigkeit ω rotierenden Scheibe liegt. Die in Bezug auf die Scheibe mit konstanter Geschwindigkeit v fahrende Lokomotive habe zum Zeitpunkt t = 0 die Rotationsachse überquert. Zu diesem Zeitpunkt sei über der Scheibe ein ruhendes Koordinatensystem mit einem zur Schiene parallelen x-Achse gesetzt worden.

Abb. 3

Die Lokomotive L übt wie das Wasser im U-Rohr eine Kraft FC quer zur Bewegungsrichtung aus. Die Existenz dieser auf die Schiene wirkenden Kraft FC kann hier leicht begründet werden.

L bewegt sich aus der Sicht eines auf die Scheibe schauenden, ruhenden Beobachters B nicht nur entlang der Schiene. Infolge der Rotation wird L in Richtung der y-Achse beschleunigt. Dieser Beschleunigung ist die Kraftkoordinate Fy = m · ay zuzuordnen. Legt man das Koordinatensystem so, dass die Schiene nur einen kleinen Winkel mit der x-Achse bildet, dann steht Fy für eine zur Fahrtrichtung orthogonale Kraftkomponente Fq , mit der die Schiene auf die Lokomotive einwirkt.

Ein auf der rotierenden Scheibe sitzender Beobachter B' kann keine Beschleunigung an der Lokomotive erkennen. Für ihn bewegt sie sich gleichförmig auf einer geraden Spur und erfährt keine beschleunigende Kraft durch die Schiene.

Ihm fällt aber die nach dem Wechselwirkungsgesetzt zu erwartende Gegenkraft FC zu Fq auf, welche die Lokomotive auf die Schiene ausübt und er denkt sich, die Lokomotive übertrage eine aus der Ferne wirkende Kraft auf die Schiene. Er nennt sie Corioliskraft (nach dem französischen Mathematiker Coriol).

Der y-Wert, den L nach Überqueren der Rotationsachse in einer Zeit t annimmt, weicht bei kleinem t (kleiner Winkel) nur wenig vom Bogen b ab, weshalb unter dieser Bedingung y = b geschrieben werden kann.

ω·t = b / (v·t) Bogenmaß !  →  y = b = ω· v · t2

v ist die Geschwindigkeit der Lokomotive aus der Sicht von B'.

Bekanntlich beschreibt ein solcher Term mit t2 eine Bewegung mit konstanter Beschleunigung ay.

Es gilt : y = (ay /2) · t2 ;   y = ω· v · t2   →   ay = 2 · v · ω   →   Fy = 2 · m · v · ω

Bei jeder Bewegung auf der rotierenden Scheibe wirkt aus der Sicht von B' eine Corioliskraft FC = 2 · m · v · ω  (Gegenkraft zu Fq) quer zur Bewegungsrichtung auf den bewegten Körper. Ein das bewegte Objekt begleitender Beobachter registriert bei einer Linksdrehung (Draufsicht) eine nach rechts und bei einer Rechtsdrehung eine nach links wirkende Corioliskraft.


Messung der vom Wasserstrom verursachten Corioliskraft

Zum Nachweis dieser Kraft im Unterricht eignet sich die in Abb. 4 dargestellte Anordnung. Zu sehen ist ein von Wasser durchflossenes U-Rohr mit der Höhe r und der Breite b, welche um eine waagrechte Achse pendelt, die von der beweglichen Glasplatte der Wippe gehalten wird. Ein Elektromotor bewirkt ein gleichmäßiges Pendeln. Er dreht ein Rad mit einem exzentrisch, parallel zu Drehachse angebrachten Stäbchen S. Das mit der Geschwindigkeit vS rotierende Stäbchen S ist über einen Faden mit dem U-Rohr verbunden. Ein roter Gummifaden sorgt dafür, dass dieser Faden während der Drehung von S gespannt bleibt.

Abb. 4

Die Schenkel des U-Rohrs rotieren mit veränderlicher Winkelgeschwindigkeit ω, sie haben in senkrechter Stellung die höchste Winkelgeschwindigkeit

ω = vS/r.

Wir stellen uns einen parallel zu Pendelachse ausgerichteten Beobachter B vor (siehe Abb. 4), der auf dem linken Schenkel des Rohrs der Strömung folgt. Da das Rohr zu seinen Füßen ein rotierendes System ist, wirken aus seiner Sicht auf das im linken und rechten Schenkel fließende Wasser einander entgegen gerichtete, seitliche Corioliskräfte mit den Beträgen

FC = 2· m ·vW · ω.

m: Masse des Wassers in einem senkrechten Schenkel des U-Rohrs

vW: Strömungsgeschwindigkeit des Wassers

Sind die Schenkel des U-Rohres genau nach unten gerichtet, dann wirken diese Kräfte mit dem Drehmoment

M = 2 ·FC · (b/2) = 2 · m · vW · ( vS/r) · b auf die Wippe.

b : Breite des U-Rohrs; b/2 : Hebelarm zu der Corioliskraft auf einen Schenkel

m = A ·r·ρ, ρ: Dichte der Flüssigkeit, A: Querschnitt des Rohres

M = 2 · A ·r·ρ · vW · ( vS/r) · b

A ·r·ρ / t = A ·ρ·(r / t) = A ·ρ · vW = Massedurchfluss Δm/Δt

In der Zeit t legt das Wasser den Weg r zurück !

M = 2 ·r· Δm/Δt · ( vS/r) · b   →   Δm/Δt = M/ ( 2 · vS · b )

Während des oben beschriebenen Experiments wurde das in der Abb. 5 sichtbare M-t-Diagramme aufgenommen. Die Amplitude des Diagramms zeigt das für die Berechnung von Δm/Δt passende Drehmoment M an. Mit diesem m= 0,09 N·m wurde für Δm/Δt der Wert 0,18 kg/s errechnet.


Abb. 5


Das Messergebnis kann man überprüfen, indem man das austretende Wasser kurzzeitig mit einem Eimer auffängt. Auch anhand der Reichweite des aus dem Rohr austretenden Wasserstrahls ist Δm/Δt bestimmbar. Somit ist die Prüfung der gewonnenen Ergebnisse leicht möglich. Bei dem hier beschriebenen Experiment wurde anhand der erwähnten Reichweite 0,17 kg/s ermittelt.


Anmerkung zur Messung:

Bemerkenswert ist, dass der Schlauch über die Mitte der Wippe in das U-Rohr eingeführt ist. Dieser Anschluss nahe der Wippenachse wurde gewählt, damit geringe Verschiebungen des Schlauchs nicht zu störenden Drehmomenten führen.

Das hier vorgestellte Experiment kann auch mit einem geschlossenen Wasserkreislauf vorgestellt werden. Passende Wasseranschlüsse sind somit nicht unbedingt erforderlich.




Berechnung einer Bewegung in einem rotierenden System unter Berücksichtigung der Zentrifugal- und Corioliskraft



Erscheinungen auf der Erde, die als Zeichen der Corioliskraft gedeutet werden können