1. 5.2 Gesetz zur Addition der Kräfte



Wir stellen uns eine Glasplatte der Masse m3 vor, die auf kleinen Eisenkugeln aufliegt und somit nach allen Seiten frei beweglich ist.


Abb. 1


Auf der zunächst ruhenden Platte fährt ein Spielauto W1 mit der Masse m1 und dann in einem zweiten Versuch ein Spielauto W2 mit der Masse m2 an .


Nach dem Impulssatz bleibt die Impulssumme aus den Impulsen des Glasplattenschwerpunkts und des Autos in jedem Fall konstant.

Wenn wir die Platte gedanklich in viele kleine Teilchen zerlegen, dann ist ihr eine Impulssumme zuzuordnen; sie gleicht dem Impuls des Schwerpunkts.


d(m3 · v3)/dt + d(m1 · v1)/dt = 0;        d(m3 · v3)/dt + d(m2 · v2)/dt = 0

d(m3 · v3)/dt  =  - d(m1 · v1)/dt;         d(m3 · v3)/dt  =  - d(m2 · v2)/dt

Wenn W1 und W2 gleichzeitig anfahren, dann gilt:


d(m3 · v3)/dt + d(m1 · v1)/dt + d(m2 · v2)/dt = 0

F3 = d(m3 · v3)/dt wirke.

Diese Kraft erhalten wir durch vektorielle Addition der von W1 und W2 ausgehenden Kräfte F1 und F2.


Schlussfolgerung:


Wirken auf einen Körper K (hier eine Glasplatte) zwei Kräfte F1 und F2 , dann verhält sich der Schwerpunkt von K so, als ob nur eine Kraft F3 auf ihn einwirke. Die aus F1 und F2 resultierende Kraft F3 erhalten wir durch vektorielle Addition von F1 und F2.

F3 = F1 + F2



a = F3/m ist die Beschleunigung des Körperschwerpunkts (bei konstanter Masse). Dies trifft auch dann zu, wenn zwischen den Teilen von K keine festen Bindungen bestehen.


Berechnung von resultierenden Kräften

An einem Gegenstand greifen zwei Kräfte mit den Beträgen F1 und F2 an. Der Winkel zwischen den Kraftpfeilen sei α (siehe Abb. 2).


Wie groß ist der Betrag der resultierenden Kraft F ?


Zur Beantwortung einer solchen Frage wird ein Dreieck aus den Kraftvektoren gebildet. F erscheint als unbekannte Seite in dem aus F1, F2 und F gebildeten Dreiecks. Für den Gegenwinkel γ zu F gilt: γ = 180° - α . |F | ist mit Hilfe des Kosinussatzes berechenbar.


|F|2    =     |F1|2 + |F2|22· |F1| ·|F2|·cos γ



Abb. 2

Der Kosinussatz kann leicht plausibel gemacht werden.

Bei γ = 90° gilt: |F|2 = |F1|2 + |F2|2

Bei γ = 180° gilt: |F|2= ( |F1| + |F2|)2= |F1|2 + |F2| 2+2· |F1| ·|F2|

2· |F1| ·|F2| muss mit einem von γ abhängigen Faktor ergänzt werden, der bei

γ = 90° den Wert 0 und bei γ = 180° den Wert 1 annimmt.



Anwendungen des Additionsgesetzes

Die Hangabtriebskraft

Behauptung: Ein Wagen, der auf einer schiefen Ebene die Höhendifferenz s durchläuft, erfährt eine nur von s abhängige Geschwindigkeitsänderung.

Abb. 3

Beweis: Die Beschleunigung eines Wagens der Masse m entlang der schiefen Ebene weist auf eine Kraft F (Hangabtriebskraft) parallel zu dieser Ebene; sie ist die Resultierende der auf den Wagen wirkenden Kräfte. Auf den Wagen wirkt die Erde mit ihrer Anziehungskraft FG und die Schiefe Ebene mit einer Abstoßungskraft FB . Von Reibungskräften soll abgesehen werden.


Im Hinblick auf die Abb. 3 ist erkennbar:


F/FG =s/L     →     F = s/L · FG      →     m·a = s/L· m·g    →    a = s/L· g

(v2 – v1)/t = s/L· g

v1: Anfangsgeschwindigkeit; v2: Endgeschwindigkeit; t: Bewegungszeit entlang der Strecke L


(v2 – v1)/t = s/L· g → (v2 – v1) · L/t = s· g

Für die mittlere Geschwindigkeit L/t gilt: L/t = (v2 +v1)/2

(v2 – v1) · L/t = s· g     →     (v2 – v1) · (v2 +v1)/2 = s· g     →     v22 – v12 = 2· s· g

Demnach ist die Änderung von v2 und somit auch die von v nur von der Höhenabnahme s abhängig.


Die Hangabtriebskraft F gewinnt man auch, indem man die Gewichtskraft FG wie in der Abb. 4 sichtbar in zwei Kräfte F und FN (Normalkraft) zerlegt. Erlaubt ist dies, weil nach dem Additionsgesetz der Kräfte F und FN zusammen die gleiche Wirkung auf den Wagen haben wie FG alleine.

Abb. 4


Abb. 5

Die anfangs stehende Behauptung gilt auch dann, wenn der Wagen eine gekrümmte Bahn hinab rollt. In diesem Fall können wir die Bahn als eine Folge von n vielen kleinen schiefen Ebenen mit der Höhendifferenz Δs sehen (siehe Abb. 5).

Für jede dieser kleinen Ebenen gilt: vEnde2 – vAnfang2    =   2· Δs· g

Für die Summe aller n Differenzen vEnde2 – vAnfang2 erhalten wir:

v22 – v12 + v32 – v22 + v42 – v32 +….   =   2· Δs1 · g + 2· Δs2· g + 2· Δs3· g .....

vn2v12   =   2· g ·( Δs1 + Δs2 + Δs3...)   =   2· g ·s



Experimentelle Überprüfung der letzten Aussage

Die Abb. 6 und 7 zeigen eine in Querrichtung geneigte Wippe (die Schmalseiten sind geneigt, die Längsseiten verlaufen waagrecht), auf der eine Kugel entlang einer vorgeschriebenen Bahn hinab rollt. Die Bahn ist jeweils durch einen Schweißdraht (Durchmesser = 4 mm) vorgegeben, der zwischen zwei diagonal gegenüber liegenden Ecken der Wippe eingespannt ist.

Abb. 6                                     Abb. 7

Die in den Abbildungen erkennbaren Bahnen nehmen vor dem unteren Ende einen waagrecht Verlauf an, somit werden die mit der Geschwindigkeit 0 am oberen linken Ende der Bahn beginnende Bewegungen am Ende gleichförmig. In der Abb. 8 sind die zugehörenden Weg-Zeit-Diagramme zu sehen ( das obere ist der Abb. 6 und das untere der Abb. 7 zuzuordnen). Beide Diagramme haben am Ende gleiche Steigungen und zeigen somit gleiche Endgeschwindigkeiten an.

Abb. 8





Kräfte an einer tragenden Leine

Abb. 9

An einer Leine, die zwischen zwei Punkten P1 und P2 aufgespannt ist, sei eine Lampe aufgehängt (siehe Abb. 9) . Man darf nicht davon ausgehen, dass P1 und P2 jeweils die halbe Gewichtskraft der Lampe aushalten müssen. Die auf sie wirkenden Zugkräfte sind meistens erheblich größer als die Gewichtskraft des aufgehängten Gegenstandes.

Warum ist dies so ?

Zum Verständnis dieses Sachverhalts dient die Skizze in der Abb. 10.

Abb. 10

Die von den Punkten P1 und P2 ausgehenden Kräfte FP1 und FP2 bilden als Resultierende die Gegenkraft -FL zur Gewichtskraft FL der Lampe. Die Kräfte FP1 und FP2 ( |FP1| = |FP2|) sind größer als FL .


Es gilt: |FP1| / (|FL| /2) = s/h         →          |FP1| = (s / h) · (|FG|/2)

s: halbe Seillänge

h: Verschiebung der Seilmitte unter der Gewichtskraft der Lampe

Nach dem Wechselwirkungsgesetz haben die auf P1 und P2 wirkenden Kräfte die gleichen Beträge wie die von P1 und P2 ausgehenden Kräfte. Die Zugkraft der Lampe an einer Seilhälfte ist demnach um den Faktor s/h größer als die halbe Gewichtskraft der Lampe.





Anlass zu der in einer 11. Klasse nicht üblichen, genauen Beschreibung der Schwerpunkteigenschaften gab ein lang anhaltender Streit um eine Schulaufgabe in einer 11. Klasse. Von einem Fachbetreuer Physik (Gymnasium) und Fachreferenten des zuständigen Kultusministeriums wurden dazu derart fachlich falsche Entscheidungen getroffen, dass es angebracht erschien, die Aufgabe in der Praxis der Naturwissenschaften unter dem Titel

Ist der Impulssatz noch gültig ?“


vorzustellen ( Praxis der Naturwissenschaften PdN-Ph. 8/39. Jg. 1990). In diesem Aufsatz wird gezeigt, dass die genannten Personen sehr wahrscheinlich bei besserer Kenntnis der Schwerpunkteigenschaften solche elementaren Fehler nicht gemacht hätten.



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