3.1 Vorwort

Wie gelangt der Mensch zu Fragen ?   Wie findet er passende Antworten ?  Warum glaubt er ?  Unter welchen Bedingungen stellen sich Vermutungen ein ?

Um diese Fragen geht es in diesem Kapitel. Sie sollten für Leute von Interesse sein, die sich immer wieder um neue Erkenntnisse und um Klärung unverständlicher Sachverhalte bemühen und es dabei mit Aufgaben zu tun haben, zu deren Lösung es keine genauen Rezepte gibt. Man erwarte in diesem Kapitel nicht irgendwelche Wunderrezepte zur Lösung schwieriger Aufgaben. Der Gewinn neuer Einsichten beruht auf natürlichen Verhaltensweisen, zu denen der Mensch dank seiner Veranlagung unter bestimmten Bedingungen neigt. Der geistig rege und neugierige Mensch ist immer darauf aus, sein eigenes Verhalten zu variieren, mit Dingen gedanklich zu experimentieren, sie zu ändern und zu ergänzen und mit Ähnlichem zu vergleichen. Fragen, Vermutungen und Schlussfolgerungen werden hierdurch veranlasst. Diese dem Erkenntnisgewinn dienenden Verhaltensweisen sollten bekannt sein, damit man nicht infolge unrealistischer Vorstellungen auf eine Art Nürnberger Trichter“ hofft und sich somit in seiner geistigen Entwicklung hindert. Einem Schüler sollte vermittelt werden, dass hilfreiche Einfälle nicht ohne eigenes Zutun kommen, dass sein Interesse am Lernstoff im Wesentlichen davon abhängt, ob er mit Fantasie mitgeht, das Gebotene durch eigene Vorstellungen bereichert, es quasi in seinem Sinne ausmalt. Dies gilt sowohl im Unterricht, als auch beim Lesen eines Buches. Jedes Buch, das nicht mit reger Fantasie gelesen wird, bleibt weitgehend unverständlich und wirkt langweilig.

Kein Erfolgserlebnis ohne Mühe; dieser allgemeingültigen Aussage wird nur im Sport uneingeschränkt zugestimmt.

3.2 Der Weg zur Frage

Wenn eine Frage nicht aus einer Gewohnheit heraus gestellt wird, wie dies bei Kindern oft geschieht, dann ist sie normalerweise durch Unstimmigkeiten in der Welt unserer Vorstellungen, durch Abweichungen vom Gewohnten oder durch eine Vermutung bedingt.

Wenn jemand nach der Größe eines Hauses fragt, dann geschieht dies, weil er sich unterschiedliche Bilder über dieses Haus gemacht hat. Wird nach der Dauer eines Vorgangs gefragt, dann zeigt dies an, dass die fragende Person mit dem Vorgang eine Uhr im Sinne hat, zu der sie sich verschiedene Zeitangaben vorstellt. Unstimmigkeiten können bestehen in der Beschaffenheit eines Gegenstandes oder seiner Anwendbarkeit, in einer Zuordnung, in den Ursachen, dem Verlauf, den zugehörenden Bedingungen und den Folgen eines Ereignisses. Sie lösen Fragen aus, die mit wie, welche, was, wer, wann und wo oder mit einem Verb oder einem Hilfsverb beginnen.

Unerwartetes veranlasst fast immer eine meistens mit „warum“ beginnende Frage.

Beispiele:

1. Wenn ein Schüler erfährt, dass der elektrische Widerstand eines Drahtes bei einer Dehnung zunimmt, dann erwartet er normalerweise auch bei einer Biegung eine Zunahme des Widerstands. So überrascht es ihn, wenn er sieht, dass die Biegung zu einem gegensätzlichen Effekt führt und fragt mit „warum“ nach einem Grund hierfür.

2. Unerwartet ist auch eine Abweichung vom Gewohnten. Mein vierjähriger Enkel hat mir hierzu eine beispielhafte Frage geliefert. Während eines Telefonats mit ihm – er telefoniert gerne und ausdauernd mit mir - hörte er das Flöten einer in meiner Nähe sitzenden Amsel. Er war gewohnt, meine Stimme im Telefon zu hören, nicht aber eine Vogelstimme. Somit kam von ihm die Frage: „Wie kommt der Flötenton der Amsel durch das Telefon zu mir ?“

Wenn Vorstellungen nicht ständig neu entwickelt, wenn sie nicht variiert und ergänzt werden, dann kommt es kaum zu Unstimmigkeiten in der Welt unserer Vorstellungen, die Fragen veranlassen.

Bei einer Vermutung wird entweder nach ihrer Richtigkeit gefragt oder aber es wird eine Frage mit „warum“ gestellt, wenn sie sich als falsch erweist. Eine Vermutung ist im Gegensatz zu einem Glauben rationaler Natur. Eine Vermutung kann fast immer als Ergebnis eines Vergleichs gesehen werden. Zeigen zwei Dinge A und B gewisse Übereinstimmungen, dann wird auf weitere übereinstimmende Merkmale, möglicherweise auch auf Gleichheit geschlossen. Was bei A erkannt wird, wird bei B gedacht (vermutet). Vermutungen schaffen eine gewisse Spannung. Man möchte wissen, ob sie zutreffen. Deshalb sollte sich eine Lehrer bei der Planung seines Unterrichts die Frage stellen: „Wie kann ich meine Schüler zu Vermutungen anregen, die zu dem führen, was ich vermitteln möchte ?

1. Beispiel:

In der Abb.3.1 sind zwei Gegenstände zum Vergleich dargestellt. Links ist ein geladener Plattenkondensator skizziert, dessen Platten über einen geöffneten Schalter miteinander verbunden sind. Rechts ist ein U-Rohr zu sehen, dessen Schenkel durch einen zunächst geschlossenen Hahn getrennt sind. Der eine Schenkel ist mit Wasser gefüllt. Wird der Hahn geöffnet, dann schwingt das Wasser von einem Schenkel zum anderen und zurück.

Abb. 3.1

Vermutung: Die Elektronen schwingen nach dem Schließen des Schalters zwischen den beiden Kondensatorplatten hin und her.

2. Beispiel

Zum Vergleich kommen Modelle in Frage. Unter einem Modell versteht man ein erdachtes Gebilde, welches mit einem Gegenstand der Natur charakteristische Merkmale gemeinsam hat. So wird z.B. eine Vielzahl kleiner Kugeln, die in einem Gefäß hin und her schwirren, als Modell eines Gases genommen. Die kleinen Kugeln sollen den Molekülen eines realen Gases entsprechen. Eine an diesem Modell hergeleitete Gleichung über den Druck auf die Gefäßwand wird auf ein reales Gas übertragen und diesbezüglich auf seine Gültigkeit geprüft.

Erscheint das Modell für Berechnungen zu kompliziert, dann wird es im Sinne besserer Berechenbarkeit geändert. Die Teilchen im Gasmodell kann man z.B. an der Innenseite einer Hohlkugel entlang gleiten lassen. Hierbei wird man von der Vermutung geleitet, dass das so gewonnene Ergebnis auch für das komplexere Modell gültig ist.

Die Kraft eines Teilchens auf die Wand ist unter diesen Umständen gleich m·v2/ r.

n Teilchen üben somit die Kraft F = n·m·v2/ r aus.

Für den Druck p auf die Gefäßfläche A = 4·π·r2gilt demnach:

p = F / A = F / (4·π·r2)  →   p = (n·m·v2/ r) / (4·π·r2)

p = n·m·v2/ (4·π·r3)

Die Gleichung muss so umgewandelt werden, dass sie formal zu jedem mit Gas gefüllten Gefäß passt.

π· r3 =  3 · Kugelvolumen V

p·V= (1/3)· n· m· v2   →   p·V= (2/3)· n· ( m· v2/2)

Wir vermuten manchmal, dass zwei Dingen einander gleich sind, wenn sie in wesentlichen Merkmalen übereinstimmen. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn wir auf der Suche nach einem Term zur Berechnung einer bestimmten Größe in folgender Weise vorgehen: Zunächst wird nach Merkmalen eines solchen Terms gefragt, es können z.B. Ergebnisse sein, welche dieser unter bestimmten Bedingungen liefert. Hiernach werden Terme mit diesen Merkmalen gesucht und auf ihre Eignung geprüft. Beispielhaft hierfür sind die Schlussfolgerungen anhand von Einheiten (siehe: Kapitel 1.3.10). In diesem Kapitel wurde nach der Annahme, dass die Schallgeschwindigkeit v durch die Luftdichte ρ und den Luftdruck p bestimmt ist, ein aus ρ und p gebildeter Term mit der Einheit „m/s“ aufgestellt.

[ρ] = kg/m3;   [p] = kg/(m·s2);    [p/ρ] = m2 / s2  →     Vermutung: v ~√(p/ ρ)

Von einer völlig anderen Art ist das folgende Beispiel aus der Mathematik:

Es solle eine Gleichung gefunden werden, welche es ermöglicht, den Flächeninhalt A eines Dreiecks anhand der Seitenlängen a, b und c zu berechnen. Es wird nach Merkmalen eines solchen Terms gefragt. Im Sinne dieser Frage sind Gedankenexperimente mit dem Dreieck hilfreich.

Abb. 3.2

Bei Verkleinerung einer Höhe fällt auf, dass ein Term für den Flächeninhalt den Wert 0 ergeben muss, wenn eine Seite gleich dem halben Umfang s = (a+b+c)/2 ist. Auch mit schwindendem s muss dieser Term gegen o gehen. Ein Term mit diesen Eigenschaften ist das Produkt s·(s-a)·(s-b)·(s-c). Dieser Term kommt aber nicht für den Flächeninhalt in Frage, weil er als Einheit m4 oder cm4 hat.

Vermutung (Heronsche Dreiecksformel):

A = [s·(s-a)·(s-b)·(s-c)]

Wie hier, so sind auch in anderen Fällen Gedankenexperimente hilfreich, wenn man etwas genauer kennen lernen will.

3.3 Der Weg zur Antwort

Oft kann zu einer gestellten Frage nach einem genau bekannten Verfahren eine Antwort gefunden werden. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn nach einer Größe gefragt wird, die mit Hilfe eines bekannten Gesetzes berechnet oder unter Zuhilfenahme vorhandener Geräte gemessen werden kann. Wir haben es aber auch mit Fragen zu tun, die nicht in dieser einfachen Weise beantwortet werden können.

Wenn dies der Fall ist, dann sammeln wir Informationen über den in Frage stehenden Gegenstand G und vermehren diese Informationen durch Folgerungen, die wir daraus ziehen können. Auch Dinge, die G ähnlich sind, werden in Betracht gezogen. Beim Sammeln von Informationen sind Gedankenexperimente mit G sehr hilfreich. Hierbei ist folgende Frage zu stellen:

Was kann ich mit G tun , was kann ich an ihm beobachten und messen ?

Die hier genannten Maßnahmen sollen einer Antwort näher bringen. Die Wege zu einer Antwort sind entweder induktiver oder deduktiver Natur. Unter einer Induktion (kommt von lat. inducere = hineinführen) versteht man den Schluss von Erfahrungen auf ein Naturgesetz. Die Deduktion (kommt von lat. deducere = wegführen) ist eine Folgerung aus einem oder mehreren bekannten Naturgesetzen. Wenn z.B. der Fallweg eines Steines mit Hilfe der Gleichung s = ½· g· t2 berechnet wird, dann spricht man von einer Deduktion. Die Ermittlung des Fallgesetzes anhand von tabellarisch angeordneten Messdaten nennt man eine Induktion.

Wird eine Tabelle aus Messwertepaaren zusammengestellt, dann geschieht dies meistens mit der Absicht, eine konstante Verknüpfung von Messwerten zu finden (siehe Kapitel 1.3.7), manchmal aber auch deshalb, weil man eine Entwicklungstendenz an den geordneten, tabellierten Werten erkennen möchte, die eine Schätzung eines nicht messbaren Wertes ermöglicht.

Man spricht in einem solchen Fall entweder von Interpolation oder Extrapolation, je nachdem ob der Schätzwert zwischen oder nicht zwischen den geordneten Messwerten liegt.

Beispiel:

Es solle die Temperaturzunahme ΔT bestimmt werden, die eine bestimmte Menge Wasser bei einer Energiezufuhr ΔE erfährt.

Zur Messung des Wertes ΔT müsste die Energie ΔE schlagartig zugeführt werden, denn andernfalls wird der Messwert durch Wärmeabfluss an die Umgebung verfälscht. Da diese schlagartige Energiezufuhr nicht möglich ist, bestimmt man die Temperaturzunahme bei verschiedenen Erwärmungszeiten t. ΔE hat in jedem Fall den gleichen Wert. Die hierbei ermittelten Werte ΔT werden grafisch in Abhängigkeit von der Erwärmungszeit t dargestellt. Die Fortsetzung des Grafen bei Annäherung an t = 0 wird geschätzt, er weist auf den gesuchten Wert ΔT hin.

Oft werden zu Gedankenexperimente anhand von Plausibilitätsbetrachtungen Tabellen erdacht. Sie regen zu Vermutungen an, und längst Vergessenes kann wieder einfallen.

Beispiel:

Wir denken an einen Metalldraht der Länge L, der unter einer Kraft F um ΔL gedehnt wird.

Es stellt sich die Frage: Wie hängt ΔL von F ab ?

Als einfachste Beziehung kommt ΔL / F = Konstante = K1 in Frage.

Wir ändern in Gedanken die Länge des Drahtes.

Frage: Wie ändert sich K1 mit der Länge L ?

Plausible Antwort: K1 / L = Konstante = K2. → ΔL / (F·L) = K2

Begründung: Gleich lange Abschnitte des Drahtes erfahren gleiche Dehnungen.

Wir ändern in Gedanken den Querschnitt A des Drahtes.

Frage: Wie ändert sich K2 mit dem Drahtquerschnitt A ?

Plausible Antwort: K2·A = Konstante = K3. → ΔL· A / (F·L) = K3

Begründung: Ersetzt man einen Draht mit dem Querschnitt 2· A durch zwei parallele Drähte mit den Querschnitten A, dann erhält man vermutlich die gleiche Dehnung.

Da die Kraft hierbei auf zwei Drähte verteilt wird, folgt: Nach Verdopplung des Querschnitts ist die Dehnung und somit auch K2 nur noch halb so groß.

Die nur vom Drahtmaterial abhängige Konstante K3 wird Elastizitätsmodule ε des Materials genannt.

ΔL·A / (F·L) = ε → F = ε·ΔL





Wie lang ist die Schwingungszeit T eines Federpendels ?

Wie groß ist die Zentralkraft auf einen kreisenden Körper ?

Wie lang ist der Bremsweg eines bremsenden Autos ?

Dies sind Fragen, wie sie im Physikunterricht gestellt werden. Die Antwort soll normalerweise deduktiv gefunden werden.

Nur manchmal ist eine Gleichung bekannt, welche die Berechnung der gesuchten Größe x sofort ermöglicht. In der Mehrzahl aller Fälle müssen zunächst zum Sachverhalt passende Gleichungen hergeleitet werden. Hilfreich ist hierbei eine genaue Beschreibung des in Frage stehenden Gegenstandes G, eine Skizze von G mit zugehörenden Kenngrößen ist angebracht. Da diese Größen zum Aufstellen von Gleichungen anregen, sollte man sich beim Anlegen der Skizze nicht auf die in der Aufgabe angegebenen und gesuchten Kenngrößen beschränken.

Was kann ich mit der gesuchten Größe x berechnen ?

Diese Frage hilft bei der Suche nach einer Gleichung mit x. Auch hier muss wieder betont werden, dass oft erst bei Gedanken-experimenten mit G Wichtiges auffällt und hilfreiche Einfälle kommen. Als ein Gedankenexperiment kann auch die Änderung der Betrachtungsweise – Änderung des Beobachtungsstandortes - gesehen werden (siehe Berechnung von Wellengeschwindigkeiten im Kapitel 1.13.1).



Anmerkung: Als Experiment gilt hier entsprechend der Wortbedeutung jede Handlung mit ungewissem Ergebnis, wenn sie dem Erkenntnisgewinn dienen soll.



Findet man eine Gleichung, in der neben x noch andere unbekannte Größen y,z.... enthalten sind, dann müssen weitere Gleichungen mit x,y,z.. aufgestellt werden, damit die unerwünschten Unbekannten ersetzt werden können.

Oft ist es sinnvoll nach einer ähnlichen Aufgabenstellung zu fragen. Vielleicht findet man Anregungen an dem dabei gewonnenen Ergebnis und dem eingeschlagenen Lösungsweg.

Beispiel:

Es soll die Schwingungszeit T berechnet werden, nach der eine bestimmte Wassermenge in einem U-Rohr zu schwingen vermag.

Abb. 3.3

Abb. 3.4



Die hierzu passenden Kenngrößen sind die Länge L des mit Wasser gefüllten Rohrabschnitts, der Rohrquerschnitt A, die Masse m und die Dichte ρ des Wassers (siehe Abb. 3.3).

Als ähnliche Aufgabe ist die Berechnung der Schwingungszeit an einem Federpendel mit dem Ergebnis T = 2·π·√(m/D) zu nennen.

Bei gedanklichen Umgang mit dem U-Rohr wird an das Hineinblasen gedacht. Bei einem solchen Experiment steigt die Flüssigkeit in einem Schenkel um 2·s über die des anderen Schenkels (siehe Abb. 3.4). s ist die Abweichung von der Ruhelage.

Überlegungen zu diesem Experiment:

Die Flüssigkeitssäule der Höhe 2 ·s bewirkt eine zurücktreibende Kraft F. Es kann eine der Federkonstanten D entsprechende Größe D = F/s berechnet werden.

F = 2·s·A ·ρ·g → D = 2·ρ·A·g

Unter Berücksichtigung der Gleichungen T = 2·π ·√(m/D) und m = L ·A·ρ finden wir: T = 2· π ·√[L/ (2·g)]



Wird eine Gleichung zur Beschreibung einer bestimmten Bedingung gesucht, dann sollte man die Entwicklung zur Bedingung hin untersuchen.

1. Beispiel:

Es solle der Umkehrpunkt eines nach oben geworfenen Körpers berechnet werden. Verfolgt man die Entwicklung zum Umkehrpunkt hin, dann fällt auf, dass die Geschwindigkeit v bei Annäherung an den Umkehrpunkt 0 wird. Als Bedingungsgleichung wird daraufhin v = vStart - g·t = 0 aufgestellt.



2. Beispiel:

Auf einen großen Zylinder mit dem Radius r (siehe Abb. 3.5 auf der nächsten Seite) werde ein Klötzchen aufgesetzt, welches an einem Zylinder reibungsfrei abgleite. Bei einem bestimmten Wert des Drehwinkels φ löst sich dieses Klötzchen vom Zylinder.

Wie groß ist dieses φ ?

Der Radius r, der Drehwinkel φ, die Höhendifferenz h zwischen dem Ablösepunkt und dem Scheitel des Zylinders, die Gewichtskraft m·g, die Zentrifugalkraft FZ = m·v2 / r (aus der Sicht eines Beobachters, der das Klötzchen begleitet) und die resultierende Kraft F werden vermerkt.

Abb. 3.5

Abb. 3.6



Auf der Suche nach einer Bedingungsgleichung für die Ablösung, fällt auf, dass die resultierende Kraft F bei Annäherung an den Ablösepunkt in Richtung der Bahn weist.

Bedingungsgleichung: cos (φ) = FZ / (m·g) → cos(φ) = m·v2 /( r ·m·g)

cos (φ ) = m·v2 /( r ·m·g) ; m·v2/2 = m·g ·h (Ekin = Epot ! )

h = r - r·cos(φ) = r ·(1 – cos(φ))

cos(φ) = 2·g·r ·(1 – cos(φ)) /( r ·g) → cos(φ) = 2 – 2·cos(φ) → cos(φ) = 2/3

φ = 48,2°



3.4 Prüfung und Beweis einer Vermutung

Vermutungen müssen auf Übereinstimmung mit der Wirklichkeit geprüft oder bewiesen werden. Manchmal besteht eine Prüfung in einigen Messungen. Ist diese Prüfung nicht auf eine derart einfache Weise möglich, dann fragt der geistig rege Mensch: „Was müsste sonst noch gelten, wenn die Vermutung zutrifft?“

Auf diese Frage hin werden Experimente mit dem Gegenstand der Vermutung erdacht und deren Verlauf unter Berücksichtigung der Vermutung überlegt. Sieht es so aus, dass ein bestimmtes nachprüfbares Verhalten nur bei Gültigkeit der Vermutung zu erwarten ist, dann wird nachgeforscht.

1. Beispiel:

Es wird vermutet, dass ein Gas aus vielen kleinen Teilchen besteht. Als Experiment könnte man hier die Trübung des Gases durch Rauch erwägen. Die Rauchteilchen werden nach der gegebenen Vermutung infolge immer wiederkehrender Zusammenstöße mit Gasteilchen zittern müssen. Dieser Sachverhalt ist nachgewiesen und dient als Begründung für die Vermutung.

2. Beispiel:

Es wird vermutet, dass auf einem ungeladenen Körper beide Arten von Elektrizität in gleichen Mengen vorhanden sind. Ein mögliches Experiment mit einem ungeladenen Körper ist seine Annäherung an einen geladenen Hartgummistab. Nach der geäußerten Vermutung ist dann eine Trennung der positiven und negativen Körperladungen zu erwarten. Diese Trennung ist nachweisbar (Influenz).



Die hier gegebenen Begründungen sind hinsichtlich ihrer Überzeugungskraft nicht mit einem Beweis vergleichbar. Anhand der experimentellen Befunde, die in den letzten Beispielen zur Begründung der Vermutung angegebenen wurden, kann nicht, wie bei einem Beweis üblich, mit Sicherheit auf die Vermutungen geschlossen werden. So kann z.B. das Zittern eines Rauchteilchens neben stoßenden Gaspartikeln auch andere Ursachen haben.

Beweisen heißt: eine Behauptung aus gültigen Tatsachen in eindeutiger Weise erschließen. Hierbei werden nicht nur aus den Voraussetzungen, sondern auch aus den zu beweisenden Behauptungen Folgerungen gezogen. Man möchte auf diese Weise leichter beweisbare, gleichwertige Behauptungen finden.

Beispiel:

Beweis der Heronschen Dreiecksformel: A = [s·(s-a)·(s-b)·(s-c)]

b, a und c werden durch die Variablen h, d und e ausgedrückt und danach bewiesen, dass s·(s-a)·(s-b)·(s-c) den gleichen Wert liefert wie die für A2 gültige Gleichung A2 = h2 · (d+e)2 / 4

A = h · (d+e) / 2 !

Abb. 3.7

s · (s-a) · (s-b) · (s-c) = (a+b+c)/2· (b + c – a)/2 · (a + c – b)/2 ·(a + b – c)/2

s = (a+b+c)/2 !

s · (s-a) · (s-b) · (s-c) = (1/16)· [(b+c +a)· (b + c – a)]· [(a+c – b) · (a + b – c)]

Mit b2 = d2 + h2 , a2 = h2 + e2 und c2 = (d + e)2 = d2 + 2 · d · e + e2 erhält man nach einigen einfachen Umformungen:

s ·(s-a) ·(s-b) ·(s-c) = ¼ · [ d · c + b· c ]·[b ·c – d · c]= ¼ · c2 ·(b2-d2) = ¼ ·c2 ·h2 = A2

Gedankenexperimente können für einen Beweis sehr wichtig sein. Beispielhaft hierfür ist der auf der Seite 75 gegebene Beweis der Behauptung, dass der Wasserdruck in einem Wasserbecken nur von der Wassertiefe und nicht von der Orientierung der Fläche abhängt, die den Druck aufnimmt.

In der Mathematik (Geometrie) erweisen sich Ergänzungen eines zu untersuchenden Objekts immer wieder als sinnvoll, weil damit wichtige Merkmale hervortreten können. Manchmal ist es hilfreich, wenn man von dem zu untersuchenden Objekt Kopien anfertigt und diese dann zu einem neuen Objekt zusammenfügt.

1. Beispiel:

Beweis der Behauptung: Die Höhen eines Dreiecks haben einen gemeinsamen Schnittpunkt.

Abb. 3.8

Diese Behauptung fällt sofort als zutreffend auf, wenn man das hier vorliegende Dreieck mit 3 dazu kongruenten Dreiecken zu einem größeren Dreieck ergänzt.

Abb. 3.9

Die Höhen erweisen sich dann als Mittelsenkrechte im größeren Dreieck. Der gemeinsame Schnittpunkt der Mittelsenkrechten ist leicht beweisbar.


2. Beispiel:

Herleitung des Lehrsatzes von Pythagoras

Abb. 3.10

Vier rechtwinklige Dreiecke mit den Katheten a und b werden zu einem Quadrat zusammengestellt. Das Bild gibt sofort zu erkennen: (a+b)2 = c2 + 2·a·b    →     a2 + b2 = c2 .



3.5 Über den Glauben

Bekanntlich haben sich menschliche Anlagen evolutionär als arterhaltende Eigenschaften entwickelt. Sie können leider aber auch zu unserm Nachteil sein und zwar dann, wenn die Lebensbedingungen von den Entwicklungsbedingungen dieser Anlagen abweichen. Die Neigung zum Glauben ist hier als Beispiel zu nennen. Sie wird missbraucht, um Völker aufeinander zu hetzen.

Man denke an die verhängnisvollen Weltkriege im 20. Jahrhundert. Auf allen Seiten glaubten Soldaten, dass sie gegen etwas Böses für eine gute Sache kämpfen. Dieser Glaube wurde ihm von Politikern eingeimpft, die diese Kriege aus ganz anderen Gründen (möglicherweise rein wirtschaftlicher Art) herbeiführten.
Die Methoden zur Einstimmung auf kriegerische Maßnahmen sind sehr vielfältig. So lässt man mit Hilfe von Geheimdiensten etwas passieren, was allgemeine Empörung erregt. Beispielhaft hierfür ist die Versenkung des Panzerkreuzers Maine im Hafen von Havanna von innen heraus als Vorwand für den Krieg der USA um Kuba im Jahr 1898 (siehe Wikipedia). Neuerdings wird immer wieder auf die Verletzung von Menschenrechten verwiesen. Wenn es um Glaubensangelegenheiten geht, dann sind immer Gefühle im Spiel, die sehr leidenschaftlich sein können und keine sachliche Erörterung zulassen. Oft enden Diskussionen über Glaubensfragen mit den Worten „Ich spreche nicht mehr mit Dir!“ oder „Ich breche jetzt dieses Gespräch ab!“. Jedermann weiß, wie empfindlich religiös veranlagte Leute reagieren, wenn Zweifel an ihrem Glauben geäußert werden. Sie fürchten haltlos zu werden, wenn ihnen der Glaube genommen wird, und sehen deshalb den Zweifler wie einen Bösewicht an. Auch normalerweise sehr rational veranlagte Menschen können in Glaubensangelegenheiten sehr unsachlich werden, wenn z.B. Dinge angezweifelt werden, die ihnen viel bedeuten. Man denke an den Streit um die Relativitätstheorie in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Zu den Gegnern dieser Theorie gehörten die bekannten Physik-Nobelpreisträger Philipp Lenard und Johannes Stark. Sie machten diese Theorie auf höchst unsachliche Art schlecht, weil sie mit ihrem Glauben über Raum und Zeit nicht vereinbar war. Von jüdischer Physik war die Rede.

Eine sachliche Diskussion über Glaubenssätze ist nur mit Leuten möglich, die nach den Hintergründen ihres Glaubens fragen, die sich immer wieder der Frage stellen, warum sie dieses und jenes glauben. Im Sinne einer solchen selbstkritischen Betrachtung soll hier auf die Fragen eingegangen werden: Warum glauben wir ? Wie ist es zu verstehen, dass Glaubenssätze angenommen werden, die den Alltagserfahrungen völlig widersprechen ? Man denke an den heute weit verbreiteten Glauben, dass sich Menschen in ihren geistigen Fähigkeiten, ihrer emotionalen Veranlagung und den daraus resultierenden Wertvorstellungen bei gleichen gesellschaftlichen Entwicklungsbedingungen nicht unterscheiden, ein Glaube, der oft lapidar mit den Worten verkündet wird: Alle Menschen sind gleich! Es erscheint zunächst schwer fassbar, dass gebildete Menschen diesen Glaubenssatz verkünden; sie sollten doch wissen, dass eine evolutionäre Entwicklung nur möglich ist, wenn sich immer wieder Unterschiede einstellen. Bei Gültigkeit des oben genannten Gleichheitspostulats wäre der Mensch nicht über die Entwicklungsstufe eines Einzellers hinausgekommen. Offensichtlich ist es so, dass bestimmte Glaubenssätze deshalb angenommen werden, weil das Leben mit ihnen angenehmer erscheint.

Zweifel an völlig unrealistischen Glaubensätzen werden manchmal in einer Art abgewehrt, als werde nach dem Leitsatz gehandelt: Es kann nicht sein, was nicht sein darf ! Dies liegt an den emotionale Wurzeln eines jeden Glaubens. Gefühle, die der Mensch im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte erworben hat, sprechen für den Glauben. Jeder weiß, dass Zu- und Abneigung dafür maßgebend sind, ob wir jemandem glauben bzw. nicht glauben und dass wir Schmeicheleien gegenüber anfällig sind, weil sie gut tun. Oft glauben wir an die Redlichkeit von Leuten schon bei der ersten Begegnung, weil sie uns sympathisch sind und glauben manchmal sehr leichtfertig an angebliche Verfehlungen von Leuten, die wir nicht mögen. Ein Glauben darf nicht mit einer Vermutung verwechselt werden. Die Vermutung basiert auf rationalen Erwägungen und nicht wie der Glaube auf Emotionen. Diskussionen über Glaubenssätze sind fast immer emotional aufgeladen. Dies gilt nicht für Vermutungen. Bei einer Vermutung ist man sich immer bewusst, dass sie falsch sein kann. Man kennt einige Merkmale, welche für sie sprechen, es wird aber für möglich gehalten, dass sie durch neue Erkenntnisse widerlegt wird. Mit Vermutungen kommt man nur dann in Konflikte, wenn diese Zweifel an liebgewonnenen bzw. politisch gewollten Glaubenssätzen nähren.

Das Wort Glaube ist von dem indogermanischen Wort leubh“ abgeleitet, welches so viel bedeutet wie: begehren, lieb haben, für lieb erklären, gutheißen, loben (siehe Wikipedia). Es ist von der Natur so eingerichtet, dass besonders Kinder gutgläubig sind, denn bei ihrem nur schwach ausgebildetem Urteilsvermögen sind sie auf die Urteile der Erwachsenen angewiesen, die es gut mit ihnen meinen - normalerweise sind es die Eltern. Deshalb sind die Kirchen und alle totalitären Machthaber darauf aus, möglichst früh auf die Kinder in ihrem Sinne einzuwirken.

Ob einer Aussage geglaubt wird, hängt sehr von ihrer emotionalen Wirkung ab. Gefällt sie, dann wird sie gerne geglaubt, wenn sie nicht unmittelbar als Irrtum erkennbar ist. Gefällt sie nicht, weil sie möglicherweise verunsichert, weil ein liebgewonnenes Weltbild damit verloren geht, dann wird sie nur ungern angenommen, vielleicht sogar leidenschaftlich abgelehnt.

Für die Glaubwürdigkeit einer Aussage spricht:

1. der Erfolg, den sie ermöglicht,

    2. die Zahl der Menschen, welche zu ihr stehen,

    3. die Zeit, in der sie unwidersprochen bleibt,

    4. eine vermeintlich wohltuende Sicht, die sie vermittelt und

    5. die Entschiedenheit, mit der sie vorgetragen wird.

Die Wirkung solcher Argumente scheint auf den für unsere Evolution maßgebenden Gegebenheiten früherer Jahrtausende zu beruhen, denn Erfolg auf der Grundlage falscher Vorstellungen war sehr unwahrscheinlich und viele gleiche Aussagen standen für viele Einzelerfahrungen - es gab keine Mittel der Massenbeeinflussung (Gleichschaltung). Blieb eine Aussage lange Zeit unwidersprochen, dann hatte sie sich bewährt. Auch heute wird zur Begründung einer Aussage immer wieder gesagt: Das sagt doch der und jener auch !“ oder Es gab noch nie einen Grund daran zu zweifeln !“ oder Der Erfolg gibt ihm Recht !“. Im 17. und 18. Jahrhundert, der Zeit der Gegenreformation, hat die katholische Kirche herrliche barocke Kirchen errichten lassen, denn großartige Werke werden als Erfolg und somit als Ausdruck von Glaubwürdigkeit gewertet. Die islamische und christliche Religion verdanken ihre Ausbreitung hauptsächlich den kriegerischen Erfolgen, die im Glauben an sie errungen wurden. Mythen über solche Erfolge spielen hierbei auch eine große Rolle, man denke an das Buch Joshua im Alten Testament- ein nach dem israelischen Historiker Shlomo Sand historisch nicht belegbarer Mythos.

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass für die Verbreitung und Ausbildung der uns bekannten Offenbarungsreligionen auch totalitäre Machthaber gesorgt haben. Man denke an Karl den Großen und den skrupellosen, machthungrigen, römischen Kaiser Konstantin I. Karl der Große hat die Sachsen auf äußerst brutale Weise christianisiert und Kaiser Konstantin hat im Jahr 325 n. Chr. während des Konzils von Nicäa den dort anwesenden Bischöfen vorgeschrieben, dass Jesus als der eingeborene Sohn Gottes zu sehen sei. Die Bezeichnung „Gottes Sohn“ wurde davor als Auszeichnung einer moralisch hoch stehenden Person gewertet. Nach dem Machtspruch Konstantins musste dann auch die damals umstrittene Vorstellung von der Jungfrauengeburt Mariens als verbindlich festgelegt werden. Die Erfindung des 25. Dezembers als Tag der Geburt wurde 381 nach Chr. im Konzil zu Konstantinopel zum Dogma erklärt. Der 25. Dezember war nach dem damals gültigen Kalender der Tag der Sonnenwende, der bei heidnischen Völkern gefeiert wurde. Zur Verbreitung des Christentums war man bestrebt heidnischen Feiertagen eine christliche Bedeutung zu geben. Dass der Glaube an all das bis in die Gegenwart reicht, hat auch damit zu tun, dass einst ein diesbezüglicher Unglaube grausam bestraft und den Ungläubigen alle Qualen der Hölle angedroht wurden.

Wenn Leute ihren Glauben an die christliche Religion begründen, dann geschieht dies in der Regel mit der Aussage: „Dieser Glaube hilft mir !“ Der Glaube tut ihnen gut, er gibt ihnen eine Orientierung und bewahrt dementsprechend vor Verzweiflung. Das eine wohltuende Sicht gerne angenommen wird, hatte in weit zurückliegenden Zeiten sehr wahrscheinlich mehr Positives als Negatives an sich. Sie kann einen Menschen zu großen Leistungen anspornen. Für Korrekturen hat die Realität immer sehr schnell gesorgt. In der Gegenwart können sich Menschen über lange Zeit von wohltuenden völlig unrealistischen Glaubenssätzen leiten lassen, weil sie dank der Leistungen ihrer Vorfahren über eine relativ sichere Lebensgrundlage verfügen (z.B. soziale Absicherung) und noch nicht um ihre Existenz ringen müssen. Wunschvorstellungen werden verinnerlicht und schließlich sogar als „Wahrheiten“ angenommen, wenn mit ihnen das Leben angenehmer erscheint. Sie sind nicht unbedenklich, denn sie können lang anhaltende Fehlentwicklungen begünstigen. Möglicherweise ist dies ein Grund für den Untergang von Hochkulturen.

Unter dem Eindruck von Wunschvorstellungen verlieren manche Politiker derart den Blick für die Realität, dass sie nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden können. Ein passendes Beispiel dazu gab der scheidende SPD-Oberbürgermeister Vaupel der Stadt Marburg bei seinem letzten Neujahrsempfang am 17.1.2015 ab. Er präsentierte sich hierbei vor der Projektion der folgenden Erklärung des Beatle John Lennon:

»Ein Traum, den Du alleine träumst, ist nur ein Traum.

Ein Traum, den wir gemeinsam träumen, ist Realität.«

Die örtliche Presse spendete dem scheidenden SPD-Oberbürgermeister am 18.1.2015 für seinen Kampf um „Toleranz und Vielfalt“ viel Lob. Man könnte meinen, dass dasjenige, was führende Politiker für wahr halten und als Basis ihrer Politik sehen, Ergebnisse kollektiver Träume sind.

Dies scheint kein neudeutsches Problem zu sein. Im Jahr 1844 schrieb der Dichter Heinrich Heine in seinem Wintermärchen:

»Franzosen und Russen gehört das Land. Das Meer gehört den Briten. Wir aber besitzen im Luftreich des Traumes die Herrschaft unbestritten.«

Erfährt jemand, dass er seinen Glauben mit anderen teilt, dann fühlt er sich wegen 2. in ihm bestärkt. Aus diesem Grunde sind in kirchlichen und anderen ideologisch geprägten Glaubensgemeinschaften rituelle Handlungen üblich wie z.B. Massenaufmärsche oder gemeinsames Singen und Beten.

Eine Mehrheitsmeinung kann unfassbar gläubig machen, denn Widerspruch gegen eine herrschende Meinung erzeugt Missfallen. Man denke an das Märchen: Des Kaisers neue Kleider.

Wird eine Meinung mit Entschiedenheit vorgetragen, dann kann man damit rechnen, dass sie ohne Begründung hingenommen wird. Verständlich wird dies, wenn man bedenkt, dass in weit zurückliegenden Zeiten die Kombination von Entschiedenheit und Dummheit nur eine geringe Überlebenschance hatte.

Die Wirksamkeit der angegebenen Gründe für Glaubwürdigkeit kann in der Gegenwart schlimme Folgen haben, denn mit den Medien (Fernsehen) können Mehrheitsmeinungen erzeugt, und die Meinungsvielfalt kann derart reduziert werden, dass nur noch gängige und erlaubte Meinungen ausgetauscht werden, somit gar kein Zweifel über eine eventuell nicht vorhandene Meinungsfreiheit aufkommt.

Der Mensch fühlt sich frei, wenn er sich an gegebene Grenzen gewöhnt hat und deshalb kein Bedürfnis verspürt, diese zu durchbrechen oder wenn er das Erlaubte derart verinnerlicht hat, dass er die ihm gesetzten Grenzen nicht erkennen kann.

»Glückliche Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.«

Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916)

Zur Einschüchterung kritischer Bürger werden unerwünschte Meinungen wie im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ als Ausdruck menschlicher Schwächen wie Dummheit, Unwissenheit und völlig unbegründeter Vorurteile gedeutet.

Diejenigen, welche über die Mittel der Massenbeeinflussung verfügen, können Menschen in ihrem Sinne lenken. Dazu eignet sich am besten eine geschickt zusammengestellte Mischung aus Tatsachen und Lügen. Einige als bekannt vorausgesetzte Wahrheiten sind nötig, sie sollen dem Zuhörer den Eindruck einer objektiven Berichterstattung vermitteln. Werden die Lügen mit einem wissenschaftlichen Anstrich versehen oder viele Details angegeben, dann meint mancher Zuhörer, hier hat man sich um Klarheit bemüht, das muss stimmen.

In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.

                            Goethe (Faust I)