1.12.6  Die Schaukelbewegung

Ganz alltägliche Erscheinungen werden selten hinterfragt. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Schaukelbewegung eines Kindes.

Warum ist diese Bewegung möglich ?

Zur Erklärung wird meistens gesagt, eine Gewichtsverlagerung mache das Schaukeln möglich. Die Ursache ist jedoch nicht eine Gewichtsverlagerung, sondern die Drehung der schaukelnden Person. Diese geschieht mit Beugen und Strecken der Arme. Rechts von der Drehachse A werden sie gebeugt und links davon gestreckt (siehe Abb. 1).

Abb. 1                                   Abb. 2

In der Abb. 1 ist eine Schaukel zu sehen. Zwei Stangen St, die sich um eine Achse A drehen, halten eine Person P auf einem Sitz, dessen Drehpunkt (roter Punkt) mit dem Schwerpunkt von P zusammenfällt.

Wie ist es möglich, dass P den gemeinsamen Schwerpunkt der Stangen St und des eigenen Körpers durch eine Körperdrehung beschleunigen kann? Die beschleunigende Kraft kann doch nicht aus dem System (Stangen-Körper) kommen, sie muss von außen wirken. Ebenfalls unverständlich erscheint auch die Tatsache, dass eine Vorwärtsbeschleunigung erfolgt, wenn die schaukelnde Person an den Stangen zieht.

Die Kräfte der schaukelnde Person auf die Stangen St müssen sich gegenseitig aufheben. Neben der Zugkraft FZ der Arme muss noch eine zweite weniger auffällige Kraft existieren, mit der P auf die Stangen einwirkt. Diese zweite Kraft FS wird vom Körper auf den Sitz ausgeübt.

FZ = - FS

Die Kräfte heben sich auf, nicht aber die zugehörenden Drehmomente. Wenn die schaukelnde Person an den Stangen zieht, dann übt sie in Bezug auf die Achse A mit der Kraft FS ein größeres Drehmoment aus als mit der Kraft FZ . Somit erfolgt eine Beschleunigung nach vorne.

Der durch die Drehung von P verursachten Beschleunigung des Systemschwerpunkts muss eine von außen wirkende Kraft F zugeordnet werden können. Diese Kraft wird durch das Kräftepaar (FZ, FS) bewirkt, welches die Stangen St mit einer Kraft FA gegen die Drehachse A drückt. F ist die Gegenkraft hierzu. Man kann deshalb sagen, P stößt sich während der Vorwärtsbeschleunigung mittels der Stangen St von der Achse A ab.

Es wurde anfangs darauf hingewiesen, dass die Arme rechts von der Drehachse gebeugt und links von ihr gestreckt werden. Dass sie rechts von der Achse durchgehend gebeugt werden, verwundert zunächst, denn es bleibt meistens erst unbemerkt, dass P beim Zurückschwingen seine Drehung abbremst, auf die Stangen St drückt und somit ein die Rechtsdrehung begünstigendes Drehmoment ausübt – man denke an FS.

Wie verhält es sich auf der linken Seite der Drehachse ?

Bei einer Rechtsdrehung sind die Arme unter der Achse am stärksten gebeugt. P beginnt unter A mit der Streckung der Arme, drückt kräftig gegen die Stangen St und übt damit ein insgesamt nach rechts drehendes Moment aus – man denke an FS. Hat er die größte Schwingungsweite erreicht, dann bremst er bei weiterer Streckung der Arme seine Drehung ab, womit die beginnende Linksdrehung unterstützt wird.

Der hier geschilderte Sachverhalt soll nun noch etwas genauer unter Anwendung der für die Drehbewegung geltenden Gesetze untersucht werden. Man denke sich ein Koordinatensystem mit einer auf den Betrachter gerichteten, zur Achse A parallelen x-Achse.

Wenn sich die Person P nicht dreht (keine Drehung in Bezug auf eine senkrechte Gerade), dann ist der gesamte Drehimpuls Lg der Schaukel gleich dem Drehimpuls des Schwerpunkts S. Der Bezugspunkt der Drehimpulse und des Drehmomente liegt auf der Achse A.

Es gilt: dLg/dt = -d·m·g (siehe Abb. 1)

Es wird mit den x-Koordinaten der Drehimpulse und Drehmomente gearbeitet.

m= Masse der Stangen St + Masse der Person

-d·m·g = Drehmoment der Erdanziehungskraft

Unter den gegeben Bedingungen (die Person dreht sich nicht) ist die Schaukel bei fehlender Reibung ein Pendel mit konstanter Schwingungsweite. Dreht sich P in der beschrieben Weise, dann gilt:

d(Lg +LP)/dt = -d·m·g

LP ist der Drehimpuls von P in Bezug auf den Schwerpunkt S.

dLg /dt + dLP/dt = -d·m·g ↔ dLg/dt = - d·m·g - dLP/dt

- dLP/dt beschreibt das die Schaukelbewegung verstärkende Drehmoment von P, es ist während einer Linksdrehung des Schwerpunkts S positiv und andernfalls negativ, somit immer im Sinne der Schaukelbewegung.

-dLP/dt wird hier wie ein von außen wirkendes Drehmoment gesehen. Zum Verständnis dieser Auffassung stellen wir uns eine zweite Person P2 vor (siehe Abb. 2), die in folgender Weise für größere Ausschläge sorgt. Sie nimmt auf einem Sitz Platz, der an der Achse A aufgehängt ist, und bewegt sich nun wie die schaukelnde Person P. Mit der Änderung seines Drehimpulses LP2 trägt P2 fortwährend zur Verstärkung der Pendelbewegung bei. P2 übt das Drehmoment M = - dLP2/dt = - dLP/dt auf die Schaukel aus. Wenn P sich hierbei nicht dreht, dann gilt die Gleichung, die zuvor für das Schaukeln von P hergeleitet wurde:

dLg/dt = - d·m·g - dLP/dt