3.2.1 Kräfte zwischen stromdurchflossenen Leitern 

Von elektrischen Strömen durchflossene Spulen verhalten sich wie Stabmagnete, sie üben wie diese Kräfte aufeinander aus.  In Anbetracht dieser Tatsache ist auch mit einer Wechselwirkung zweier  Drähte zu rechnen, die elektrische Ströme leiten. Zur Prüfung der hier geäußerten Vermutung kann die in der Abb. 1 dargestellte Versuchsanordnung dienen.

        Abb. 1                                         Abb. 2

Wichtige Anmerkung zur Versuchsdurchführung


Auf die beiden Schienen E und H siehe Kapitel 1.6.2. an der einen Schmalseite der Wippe ist eine Wicklung R1 (50 cm · 8,5 cm) aus 15 Windungen  isolierten Kupferdrahtes so gelegt, dass der Schwerpunkt von R1 zwischen den beiden Schienen liegt.  Um die schneidenförmige Oberseite der am äußeren Aluminiumrahmen der Wippe angeschraubten Schiene E kann sich R1 wie ein Hebel drehen. Durch die zweite Schiene  H – sie ist an der beweglichen Wippe befestigt – wird R1  in seiner waagrechten Lage gehalten.

Neben R1 erkennen wir eine zweite Wicklung R2 mit 15 Windungen Kupferdraht die zu R1 in Reihe geschaltet ist und somit vom gleichen Strom durchflossen wird. Wird die rechte Längsseite von R2 , so wie im Bild sichtbar, direkt unter das linke Ende von R1 geschoben, dann ändert sich die auf H wirkende Kraft. Man erhält ein Zeit-Kraft-Diagramm (siehe Abb. 2). S1 ist das Anfangssignal. Infolge der plötzlichen Krafteinwirkung schwingt der Hebel. Mit dem Abklingen der Schwingung passt sich das Diagramm der Strecke S2 an. Aus dem Abstand zwischen S1 und S2 kann die auf R1 wirkende Kraft bestimmt werden. 

Das Ende von R1 wird angezogen, wenn das unter ihm liegenden Drahtbündel gleichsinnig durchflossen wird, andernfalls erfolgt eine Abstoßung. 

Mit dem in Abb.3 dargestellten Experiment kann gezeigt werden, dass nur  parallele Leiterstücke aufeinander wirken. R2 wird so an R1 heran geschoben wie dies in Abb. 3 zu sehen  ist. Das Messgerät zeigt hierbei keine Kraft zwischen den Strömen an. Demnach wirken rechtwinklig zueinander liegende  Leiter nicht aufeinander ein.


Abb. 3

Wird statt des Leiters  R2 eine stromdurchflossene Spule oder ein Stabmagnet (siehe Abb. 4 und Abb. 5) an   R1 herangebracht, dann wird besonders beim Stabmagneten eine noch stärkere Kraft registriert. Dies macht verständlich, dass Kräfte auf stromführende Leiter zuerst in der Nähe von Stabmagneten beobachtet und  dementsprechend als magnetische Kräfte bezeichnet wurden.

Abb. 4                                                Abb. 5 

Aus der  Sicht der Relativitätstheorie ist verständlich, dass ein bewegtes Elektron in der Nähe eines stromdurchflossenen Leiters eine Kraft erfährt .

In Abb. 6 sehen wir ein Leiterstück St mit dem Querschnitt A aus einer stromführenden Leitung . Es kann gezeigt werden, dass St aus der Sicht eines Beobachters B’, der die fließenden Elektronen mit deren Geschwindigkeit v begleitet, positiv geladen ist. B’ erwartet eine Anziehungskraft auf ein Elektron, welches mit der Geschwindigkeit von B’ durch einen zu St parallelen  Leiter zieht.

Abb. 6

Zunächst ist festzustellen, dass für einen ruhenden Beobachter B die Leitung nicht elektrisch geladen ist. Eine geladene Kugel in seiner Hand wird von der Leitung weder merkbar angezogen noch abgestoßen. Demnach können die Ladungsdichten ρ+ und ρ_ der positiven und negativen Ladungsträger  einander gleichgesetzt werden.

ρ = ρ+ = ρ_

Unter der Ladungsdichte ρ  versteht man die Ladung in einer Raumeinheit:  ρ = Q/V  (Q ist die Ladung in einem Raum mit dem Volumen V.)

Zur Berechnung der Ladungsdichten denken wir uns am Leiter zwei Messlatten S1 und S2 mit den Ruhelängen a . S1 umfasst ruhende positive Ladungsträger mit der Gesamtladung Q+. S2 bewegt sich mit einer bestimmten Menge Elektronen der Gesamtladung Q_; sie hat aus der Sicht des ruhenden Beobachters die Geschwindigkeit v. Die Ladungsdichten  ρ+ und ρ_ errechnet der ruhende Beobachter B nach:

ρ+ = Q+/(A · a);     ρ_  = Q_/[A · a· k ];    k2 = l - (v/c)2

S2  erscheint ihm verkürzt.

Zu anderen Ergebnissen gelangt ein bewegter Beobachter B', der S2 begleitet. Dieser misst an S1 nicht die Ruhelänge, sondern stattdessen den kleineren Wert a · k .  S2 beschreibt er im Gegensatz zum ruhenden Beobachter mit der Ruhelänge a. B' findet für die Ladungsdichten der verschiedenen Ladungsträger die Werte ρ'+ und ρ'_:

ρ'+  =  Q_ / [A · a· k ]    = ρ+ / k;       ρ'_  =  Q_/(A · a )     = ρ_ · k    ;    ρ + = ρ_       →      ρ'+ > ρ'_

Dem Beobachter B' erscheint der Leiter insgesamt positiv aufgeladen. Es ist ihm daher verständlich, wenn ein mit ihm fliegendes Elektron vom Leiter angezogen wird, denn der Leiter hat aus seiner Sicht eine Überschussladung an positiven Ladungsträgern mit der Ladungsdichte ρ’ = ρ'+ - ρ'_ .

ρ’ = (ρ+ / k)   -   (ρ_ · k)  ;  ρ + = ρ_ = ρ      →       ρ ’  =    ρ / k - ρ · k  = ρ· (v/c)2/ k

Hier gibt es Widersprüche:

Nach der hier durchgeführten Rechnung ist es verständlich, dass ein Elektron, welches  B’ mit der Geschwindigkeit v begleitet, vom Leiter St angezogen wird. Es scheint zunächst aber unverständlich, dass zwei gleich gerichtete Ströme in zwei parallelen Leitern St1 und St2 eine Anziehungskraft erfahren. Beide Leiter St sind  aus der Sicht des Betrachters B’ positiv geladen und müssten sich deshalb scheinbar abstoßen. Hier ist zu beachten, dass in Bezug auf die in St2 ruhenden positiven Ladungsträger der Leiter  St1 ungeladen ist und somit nicht mit abstoßenden Kräften auf positive Ladungsträger zu rechnen ist.