1.12 Mechanik rotierender Körper

1.12.1 Drehimpuls und Drehimpulssatz

        Abb. 1.12.1             Abb. 1.12.2                      

An dem oberen Ende eines auf der Experimentierwippe aufgesteckten Stativstabs ist ein waagrechtes, als Drehachse dienendes Stäbchen A befestigt. An ihm pendeln zwei, von leichten Stäben gehaltene Kugeln K1 und K2. Stößt K1 auf K2 (siehe Abb. 1.12.1), dann ändert sich die Summe aus den Impulsen der beiden Kugeln während des Stoßes nicht. Der Stativstab erfährt während dieses Ereignisses keine Kraft, die Kraft von K1 wird völlig auf K2 übertragen. Schlägt K1 nicht auf K2, sondern stattdessen auf den Pendelstab S mit der Kraft F1 (siehe Abb. 1. 12.2), dann wirkt auch auf das Drehachse A eine durch den Stoß verursachte Kraft. In diesem Fall wird die Kraft F1 , welche die Kugel K1 ausübt, auf K2 und die Drehachse A aufgeteilt ( F2 < F1 ). Dies kann mit dem Hebelgesetz leicht begründet werden, denn danach gilt: Wirkt auf einen Hebel im Abstand r1 vom Drehpunkt eine Kraft F1, dann übt der Hebel auf einen Körper im Abstand r2 vom Drehpunkt nach (F2 · r2 = F1 · r1 ) die Kraft F2 = ( r1/r2 ) · F1 aus.

Anmerkung: Das Hebelgesetz gilt nur dann, wenn der Hebel die auf ihn wirkenden Kräfte insgesamt weitergibt, was bei einem Hebel in beschleunigter Drehbewegung nicht zutrifft. Deshalb wird bei den hier gemachten Überlegungen vorausgesetzt, dass die Verbindungen der Kugeln mit der Achse A sehr leicht sind, damit die Kräfte zu ihrer Beschleunigung vernachlässigbar klein sind.

Was für die Kraft gilt, trifft auch für die Impulsänderungen während des Stoßes zu.

-F1 (Gegenkraft zu F1) ändert den Impuls von K1 nach  -F1 = Δ(m1·v1)/ Δt und F2 den von K2 nach F2 = Δ(m2·v2)/ Δt.

F1 · r1 = F2 · r2    (-Δ(m1·v1)/ Δt) · r1 = (Δ(m2·v2)/ Δt) · r2

-Δ(m1 ·v1 ) ·r1 = Δ(m2 · v2 ) · r2      Δ(m2 · v2 ) · r2 + Δ(m1 ·v1 ) · r1 = 0

    F1 , F2 , m1 ·v1 und m2 · v2 beschreiben die quer zum Stab gerichteten Kraft- und Impulskomponenten. Wir vereinbaren, dass diese Größen ein positives Vorzeichen haben sollen, wenn sie zu einer Linksdrehung gehören oder im Sinne einer Linksdrehung wirken. Andernfalls sollen sie negativ sein. Das zu einem Massepunkt gehörende Produkt m·v·r nennen wir Drehimpuls L ( v = Geschwindigkeitskomponente senkrecht zu r).

Wir vermuten: In einem abgeschlossenen System ist die Summe aller Drehimpulse L konstant (Drehimpulssatz).

Für diese Vermutung, die im Folgenden noch bewiesen wird, spricht auch das Ergebnis des folgenden Gedankenexperiments: Auf einer Ebene rolle eine Kugel K und ziehe dabei von einem Drehpunkt D reibungsfrei einen Faden ab (siehe Abb. 1.12.3). Die Kugel bewegt sich nach dem Trägheitssatz gleichförmig mit konstantem Impuls v . In Bezug auf den Drehpunkt D können wir ihr auch einen Drehimpuls zuordnen.

Abb. 1. 12.3

m·v / m ·vq = r2 / r1 ; (ähnliche Dreiecke ! )  →   r1 · m·v = r2 · m ·vq

r · m ·vq ändert sich nicht, denn m· v und r1 bleiben konstant.

Hier ist von einem Drehimpuls eines fast völlig freien Teilchens die Rede. Dieses Beispiel gibt Anlass zur Definition eines Drehimpulses für jedes beliebige Teilchen P. Wir denken uns ein Teilchen P, welches im Augenblick den Impuls p hat, und von einem Ortsvektor r angezeigt wird, der von einem beliebig gewählten Punkt D ausgeht. P kann frei beweglich sein.

Abb. 1.12.4

Unter dem Drehimpuls L des Teilchens P in Bezug auf den Punkt D verstehen wird das Produkt mit dem Betrag |r| ·|pq|. pq ist die Komponente von p senkrecht zu r in der von r und p aufgespannten Ebene (siehe Abb. 1.12.4). L erhält im Fall einer Linksdrehung ein positives und andernfalls ein negatives Vorzeichen.

Drehimpulsvektor

L erscheint zur Beschreibung des Drehimpulses nicht ausreichend. Es wird eine Angabe über die Lage der Geraden (Drehachse) vermisst, um die sich der Vektor r dreht. Diese Gerade (Achse) steht senkrecht zu der durch r und p aufgespannten Ebene. Zur Beschreibung von L und der Achsenlage definieren wir einen Drehimpulsvektor L mit folgenden Eigenschaften (siehe Abb. 1.12.5).

Abb. 1.12.5

|L| = |L| . L steht senkrecht auf der durch r und p aufgespannten Ebene. Bei einer Linksdrehung ist L auf den Betrachter gerichtet.Eine Methode zur Bestimmung von L kann sofort angegeben werden. L gleicht dem Kreuzprodukt r x p (siehe Kapitel 1.10.3).

L = r x p

Von nun an verstehen wir unter dem Drehimpuls nur noch den hier angegebenen Vektor L.

Für die Vektoren L gilt der oben angegebene Drehimpulssatz.

Beweis:

Wir denken uns ein abgeschlossenes System mit Teilchen der Impulse p1, p2, p3, p4 ....... und den Ortsvektoren r1, r2, r3, r4........ in Bezug auf einen Drehpunkt D. Zum Beweis von „r1 x p1 + r2 x p2 +r3 x p3 +r4 x p4 +... = konstanter Vektor Lg“ muss nachgewiesen werden, dass d Lg / dt gleich 0 ist.

d Lg / dt = d( r1 x p1 + r2 x p2 +r3 x p3 +r4 x p4 +...)/ dt

d Lg / dt = (d r1 /dt x p1 + r1 x dp1/dt) + (d r2 /dt x p2 + r2 x dp2 /dt) + (d r3 /dt x p3 +

r3 x dp3/dt ) + (d r4 / dt x p4 + r4 x dp4/dt ) +...

Produktregel der Differentialrechnung !

d Lg / dt = (v1 x p1 + r1 x dp1/dt) + (v2 x p2 + r2 x dp2 /dt) + (v3 x p3 + r3 x dp3/dt ) +

(v4 x p4 + r4 x dp4/dt ) +...

Die Kreuzprodukte v x p sind Nullvektoren, weil v und p = m·v gleiche Richtungen haben.

d Lg / dt = (r1 x dp1/dt) + ( r2 x dp2 /dt) + ( r3 x dp3/dt ) + ( r4 x dp4/dt ) +...

dp1/dt, dp2 /dt, dp3/dt, dp4/dt .. sind die auf die Teilchen 1, 2, 3, 4.. wirkenden Kräfte F1 , F2 , F3 , F4

d Lg / dt = (r1 x F1) + ( r2 x F2) + ( r3 x F3 ) + ( r4 x F4 ) +...

d Lg / dt = 0, denn zu jeder Kraft Fi,j eines Teilchens i auf ein Teilchen j gehört eine Gegenkraft Fj,i eines Teilchens j auf ein Teilchen i.

Fi,j = - Fj,i

d Lg / dt kann deshalb als Summe der Paare rj x Fi,j +ri x Fj,i = ( rj - ri ) x Fi,j dargestellt werden.

Für Kreuzprodukte gilt auch das Distributivgesetz !

( rj - ri ) ist parallel zur Verbindungsstrecke zwischen den Teilchen i und j. Wird den allgemeinen Erfahrungen entsprechend vorausgesetzt, dass die Kraft Fi,j parallel zur genannten Verbindungsstrecke gerichtet ist, dann gilt für alle Paare Fi,j, Fji:

( rj - ri ) x Fi,j = 0.

1.12.2 Das Drehmoment

Nach der Entdeckung des Impulssatzes wurde d(m·v) /dt als Maß für eine Einwirkung von außen definiert. Nun kommt auch dL/ dt als ein solches Maß in Frage. Wir betrachten zunächst ein einziges Teilchen unter einer äußeren Einwirkung.

      Für dL/dt gilt:

      dL/dt = r x F;   r x F = M heißt Drehmomentvektor

r ist der Verbindungsvektor vom Drehpunkt D zum Angriffspunkt der Kraft F. Wenn F eine Drehung verursacht, dann zeigt M die Richtung der Drehachse an (siehe Abb. 1.12.6).

      |M| = |F| · Hebelarm H (siehe Abb. 1.12.6)

    1. Abb. 1.12.6

Der Hebelarm H ist der Abstand des Drehpunkts vom Kraftpfeil oder dessen Verlängerung. |F| · H = |M| steht für den Flächeninhalt des von r und F aufgespannten Parallelogramms.

Liegt ein System S aus vielen Massepunkten 1, 2, 3….vor, z.B. eine rotierende Scheibe, dann nennt man die Summe der zu den Massepunkten gehörenden Drehimpulse den Gesamtdrehimpuls L des Systems.

L = L1 + L2 + L3 + ……

Behauptung:

Die Summe der auf das System wirkenden Drehmomente ra x Fa + rb x Fb + rc x Fc.. ist gleich dL/dt (siehe Abb. 1.12.7).

Abb. 1.12.7

Beweis:

Ein abgeschlossenes System bestehe aus den Teilen K1 bis K20 mit dem Gesamtdrehimpuls L und drei weiteren voneinander unabhängigen Teilen Ka, Kb und Kc, die mit den Kräften Fa , Fb und Fc auf K1 bis K20 einwirken. Auf Ka, Kb und Kc wirken die Kräfte -Fa ,-Fb , -Fc . Das gesamte System hat den konstanten Drehimpuls Lg.

dLg /dt = ( r1 x F1 + r2 x F2 + r3 x F3 ….. ) + ra x (-Fa) + rb x (-Fb)+ rc x (-Fc) = 0

dLg /dt = dL/dt + ra x (-Fa) + rb x (-Fb)+ rc x (-Fc) = 0

dL/dt = ra x Fa + rb x Fb + rc x Fc = M (Gesamtdrehmoment von Ka, Kb und Kc)



1.12.3 Winkelbeschleunigung und Drehmoment

Aufgabe:

Ein m = 500 g schwerer Zylinder (R = 4 cm) kann sich reibungsfrei um eine waagrechte Achse drehen (siehe Abb. 1.12.8). Um diesen Zylinder ist ein 2 m langer Faden gewunden, der mit der Kraft 1 N vom Zylinder abgezogen wird.

Wir ändert sich die Winkelgeschwindigkeit unter der Einwirkung der Kraft F ?

Nach welcher Zeit ist der 2m lange Faden abgespult ?

Abb. 1.12.8

Berechnung des Drehimpulses

Die in Achsenrichtung weisende Drehimpulskomponente LA des Zylinderdrehimpulses ändert sich unter dem parallel zur Achse wirkenden Drehmoment der Kraft F. Zur Beantwortung der gestellten Fragen muss deshalb LA als Funktion der Winkelgeschwindigkeit ω dargestellt werden. Hier ist ω fett gedruckt, womit darauf hingewiesen wird, dass ein Vektor gemeint ist. Unter dem Vektor ω der Winkelgeschwindigkeit verstehen wir einen Vektor parallel zur Drehachse, dessen Betrag mit der bekannten Winkelgeschwindigkeit ω übereinstimmt. Die Richtung von ω ist so festgelegt, dass ein Beobachter eine Linksdrehung wahrnimmt, wenn ω auf ihn zeigt.

Zunächst suchen wir eine solche Beziehung für einen einzigen Massepunkt Pi des Zylinders, der sich im Abstand ri von der Achse befindet. Seinen Drehimpuls Li in Bezug auf einen Achsenpunkt B erhalten wir nach:

Li =   rBi x mi ·vi   =   (rB + ri) x mi ·vi   =   rB x mi ·vi + ri x mi ·vi

rBi ist der von dem Punkt B ausgehende Ortsvektor von Pi. rB zeigt von B zu dem Achsenpunkt, um den Pi kreist. rB x mi ·vi bildet mit der Drehachse einen rechten Winkel. ri x mi ·vi = LAi ist die Komponente des Drehimpulses Li in Achsenrichtung.

|LAi| = ri · mi ·vi ;    vi = ω · ri   →   |LAi| = ω · mi · ri2   →   LAi = ω · mi · ri2

Der Drehimpulskomponente LA des Zylinders ist gleich der Summe aller LAi.

Da sich die zur Achse senkrecht stehenden Komponenten der verschiedenen Li aus Symmetriegründen gegenseitig aufheben ist LA der Gesamtdrehimpuls L des Zylinders.

LA = ω ·(m1C r12 + m2· r22 + m3· r32 ..)

Die Summe m1· r12 + m2· r22 + m3· r32 .. ist als Trägheitsmoment J bekannt.

LA = ω · J; JZylinder der Masse m = ½· m · R2

LA = ω · ½ · m · R2

Für die Änderung von LA ist das Moment MA = rF x F maßgebend. MA ist die zur Achse A parallele Komponente des Drehmoments M . rF ( |rF| = R ) ist ein senkrecht zur Rotationsachse stehender Ortsvektor von einem Achsenpunkt zum Angriffspunkt der Kraft (siehe Abb. 1. 12.8 ).

|MA| = R· F   →   R· F =  dLA /dt =  J · dω/dt ;   ω = | ω|;   LA = |LA| !

dω/dt = aα heißt Winkelbeschleunigung.

ω = v / R → dω/dt = (dv/dt)/ R = a/ R ; v = |v|, a = |a|

a beschreibt sowohl die Beschleunigung des Zylindermantels als auch die des Fadens.

Wie bewegt sich der Faden ?

R· F = J · dω/dt = J · a/R → a = F · R2 / J

Der Faden bewegt sich nach s = ½·a· t2.

s = ½ ·(F · R2 / J) · t2   →   t2 = 2· s · J / (F · R2 );   J = ½· m · R2

t2 = s · m / F  →  t2 = 2 m · ½ kg / 1 N = 1 s2      t = 1 s

Die hier gestellte Aufgabe kann auch mit Hilfe des Energiesatzes gelöst werden. Die kinetische Energie des Zylinders J·ω2/2 nach dem Abspulen des Fadens ist gleich der am Faden verrichteten Arbeit s·F.

s·F = J·ω2/2 ; ω = v / R   →   s·F = J· [v2 / R2]/2

v = 2·(s/t);   v = 2· mittlere Geschwindigkeit !

s·F = J· 4· [(s/t)2 / R2] /2   →   t2 = 2·J·s /(R2 · F);   J = ½· m · R2   →   t2 = s · m / F

Es fällt auf, dass man den Gesetzen der Punktmechanik (Schwerpunktmechanik) zur Drehbewegungen passende Gesetze zuordnen kann, indem man v durch ω, m durch J, m·v durch L und F durch M ersetzt.

s = |v|· t

α = |ω| · t

p = m·v

L = J · ω

F = m· dv/dt

M = J ·dω/dt

E = m·v2 /2

E = J· ω2 / 2



L = J · ω ist nicht allgemein gültig, denn L kann eine andere Richtung haben als ω. Haben L und ω gleiche Richtungen, dann nennt man die Rotationsachse eine Hauptträgheitsachse. Es gibt zu jedem Körper mindestens drei derartige durch den Schwerpunkt laufende Hauptträgheitsachsen, die senkrecht zueinander stehen (siehe Abb. 1.12.9).

Abb. 1.12.9

Drehmomente bei einer Richtungsänderung des Vektors L

Nach L = J·ω ändert sich der Drehimpuls auch dann, wenn ω eine andere Richtung annimmt. Auch in diesem Fall ist mit einem Drehmoment zu rechnen. Zum Nachweis eines solchen Drehmoments dient das in der Abb. 1.12.10 sichtbare Instrument, es ist unter dem NamenPendelkreisel“ erhältlich. Am unteren Ende eines schwingenden Pendels (variable Winkelgeschwindigkeit des Pendels = ω’) rotiert ein 420 g schwerer Zylinder mit der Winkelgeschwindigkeit ω um die Achse eines Elektromotors. Wenn man den Halter des Pendels nicht fest in die Hand nimmt, dann weicht das Pendel quer zur Schwingungsebene aus (weißer Pfeil) und dreht hierbei den Haltegriff. Ein Drehmoment M ( im Sinne einer Drehung gegen den weißen Pfeil) ist erforderlich, wenn die Rotationsachse des Zylinders in der Schwingungsebene bleiben soll.

Abb. 1.12.10                                              Abb. 1. 12.11      

In Abb. 1.12.11 ist der dem Betrage nach konstante Drehimpuls J·ω in Achsenrichtung des Zylinders vor und nach einer kleinen Zeit Δt durch

L1 = J·ω1 und L2 = J·ω2 dargestellt.

| J·ω1 | = | J·ω2 | = J · ω

|ω| = ω

L| / (J · ω) = α (Bogenmaß)

α = ω’ · Δt

L| = ω’ · Δt · J·ω

|M| = M = |ΔL| / Δt

|M| = ω’ · Δt · ω·J / Δt = ω’ · ω ·J

Schwingt das Pendel auf einen links stehenden Beobachter zu, dann ist aus dessen Sicht zur Vermeidung einer Rechtsdrehung ein Drehmoment M (M = |M| ) im Sinne einer Linksdrehung erforderlich. Nach dem Wechselwirkungsgesetz übt das Pendel auf die haltende Hand ein gleich großes Gegenmoment M’ (M’ = |M’| ) aus.

M = ω’ · ω ·J wurde schon im Kapitel 1.11.3.2 mit Hilfe der Corioliskraft hergeleitet.

Zur Messung des Gegenmoments M’ lässt man das Pendel genau über der Achse der Wippe schwingen. Während der Schwingung wird ein Diagramm gezeichnet, welches dem einer Schwingung ähnelt. Es zeigt eine Drehung der Wippe an, die von der zur Achse parallelen Komponente des Vektors verursacht wird. Beim Schwingen durch die Ruhelage erfährt die Wippe ihren maximalen Ausschlag. ist in diesem Fall parallel zur Drehachse der Wippe, gleicht deshalb dem Drehmoment der Rückstellfeder und kann anhand der am Diagramm ablesbaren Drehung der Wippe bestimmt werden.

Abb. 1. 12.12

Zur Messung ist Folgendes anzumerken:

Das durch die Rückstellfeder aufgebrachte Drehmoment ist nicht das gesamte auf die Wippe wirkende Moment. Zur Begründung ist Folgendes zu sagen: Der Drehimpuls eines Körpers K in Bezug auf irgendeinen Raumpunkt D ist gleich der Summe aus dem Drehimpuls LP in Bezug auf den Schwerpunkt und dem Drehimpuls LS des Schwerpunkts.

Lg = LS + LP

Der Zylinder dreht sich nicht nur um die Motorachse, sondern infolge der Pendelbewegung auch noch um eine zur Schwingungsebene senkrechte Hauptträgheitsachse A2 (siehe Abb. 1.12.11). Infolgedessen ist LP eine Summe aus ω ·J und einem durch ω’ bedingten Anteil L’.

Lg = LS + (ω ·J + L’ )

Wir betrachten die Glasplatte der Wippe mit dem Pendelkreisel als ein System S. Der Bezugspunkt D des Drehimpulses liege auf der Drehachse der Wippe. In diesem Fall hat L’ + LS keinen Einfluss auf die Drehung der Wippe, weil L’ + LS mit der Wippenachse einen rechten Winkel bildet. Dies gilt auch für die Änderung dieser Summe und des daraus resultierenden Moments. d(J·ω)/dt ist für die Drehung der Wippe maßgebend. Die zur Wippenachse parallele Komponente von d(J·ω)/dt wird von der Rückstellfeder aufgebracht. Beim Durchschwingen der Ruhelage stimmt diese mit d(J·ω)/dt überein.

Auch das Drehmoment des Elektromotors beim Beschleunigen des Zylinders kann mit der Experimentierwippe gemessen werden. Der Pendelkreisel wird so an der Wippe befestigt, dass die Zylinderachse zur Drehachse der Wippe parallel ist (siehe Abb. 1.12.13). Das Gegendrehmoment des Zylinders dreht die Wippe geringfügig. Anhand dieser Drehung kann dieses Moment bestimmt werden. Mit der hier sichtbaren Anordnung wurden ca. 5·10-3 N·m gemessen.

              Abb. 1.12.13                                  Abb. 1.12.14

Drehmoment und Gegendrehmoment

Mit dem Pendelkreisel kann sehr schön gezeigt werden, dass jedem Drehmoment ein dem Betrage nach gleiches Drehmoment entgegenwirkt. In der Abb. 1.12.14 sehen wir den Pendelkreisel an einem Faden hängen. Beginnt die Drehung des Zylinders, dann dreht sich der obere Teil des Pendels mit entgegengesetztem Drehsinn. Dieses Experiment kann auch zur Demonstration des Drehimpulssatzes dienen.







1.12.4 Drehschwingungen

Die Experimentierwippe schwingt nach einem Stoß mit abnehmender Amplitude. Diese Schwingungen lassen sich auch bei sonstigen Experimenten mit der Wippe nicht vermeiden, wobei sie meistens als störend wahrgenommen werden.

Eine Wippe, die zur Registrierung von Vorgängen eingesetzt wird, welche in wenigen Sekunden ablaufen, sollte keine Schwingungsfrequenz < 10 Hz haben. Bei der Planung der Wippe ging es deshalb um die Frage:

Wie muss die Wippe beschaffen sein, damit die Schwingungsfrequenz ca. 10 Hz beträgt ?

Wovon ist diese Frequenz abhängig ?

Die Frequenz wird vermutlich vom Trägheitsmoment J der Wippe und der Steifheit der Rückstellfeder (Blattfeder an der Schmalseite der Wippe) bestimmt. Diese Steifheit wird durch die sogenannte Winkelrichtgröße k =M / α beschrieben. α (Bogenmaß) ist die Drehung unter dem Drehmoment M. Voraussetzung zur Definition von k ist M~α.

Abb. 1.12.15

Zur Bestimmung von k wird auf das Ende der waagrechten Wippe (Länge L = 0,7 m) ein 100 g- Gewicht gesetzt (siehe Abb. 1.12.15), welches mit ca. 1 N auf das Ende einwirkt und dieses um eine kleine Strecke d nach unten drückt.

Bei kleinem d ist α = d/(L/2), α ist der Drehwinkel im Bogenmaß.

Das zugehörende Drehmoment M beträgt 1 N ·L/2.

k = 1 N· (L/2)/ α = 1N · L2 /(4·d)

An der Experimentierwippe mit L = 0,7 m wurde unter diesen Bedingungen d = 0,4 mm gemessen.

kWippe = 306 N·m

Eine Gleichung ist erwünscht, welche die Berechnung der Frequenz bei Kenntnis von J und k ermöglicht.

Zur Berechnung der Frequenz f eines Fadenpendels und der einer Flüssigkeitsschwingung in einem U-Rohr wurde von der für ein Federpendel hergeleiteten Gleichung ausgegangen.

f = [1/(2·π)]·(D/m)

Vermutlich erhält man eine zur Wippe passende Gleichung, wenn man die Masse m durch das Trägheitsmoment J und D = F/s durch M/ α = k ersetzt.

f = [1/(2·π)]·(k/J)

Dass dies richtig ist, sieht man sofort, wenn man die zum Federpendel- und zur Drehschwingung passenden Bewegungsgleichungen zum Vergleich hinschreibt.

Federpendel:


m· dv/dt = - D· x

x = Auslenkung aus der Ruhelage

Drehschwingung der Wippe:


J · /dt = - k · α

α = Drehung aus der Ruhelage



Das -Zeichen zeigt an, dass die zurücktreibende Kraft bzw. das zurücktreibende Drehmoment der Auslenkung entgegen gerichtet ist. Zur Ermittlung der Schwingungsfrequenz muss neben der Winkelrichtgröße k das Trägheitsmoment J einer rechteckigen Platte (Wippe) bestimmt werden. Wir teilen die Hälfte der Platte mit der Länge L und der Masse m in 1000 kleine Abschnitte der Masse (m/2)/1000 = m / 2000 ein. Ein solcher Abschnitt mit einem mittleren Abstand r von der Drehachse hat das Trägheits-moment m·r2/2000.

Abb. 1.12.16

JH der halben Platte ist die Summe aller m · r2 /2000.

Die mittleren Abstände dieser Abschnitte von der Achse sind

0,5·(L/2) /1000 = 0,5·L/2000, 1,5· L/2000, 2,5· L/2000 usw..

JH = m·(1/2000)·[(0,5·L/2000)2 + (1,5·L/2000)2 + (2,5· L/2000)2……….]

JH = m ·L2 · (1/2000) · [ (0,5/2000)2 + (1,5/2000)2 + (2,5/2000)2 ……….]

JH = m ·L2/8 · (1/1000) · [ (0,5/1000)2 + (1,5/1000)2 + (2,5/1000)2 …….]

Die Berechnung von (1/1000) · [ (0,5/1000)2 + (1,5/1000)2 ……….] geschieht mit dem Open-Office-Tabellenkalkulationsprogamm ( www.g-hoehne.de/T/T13.ods ). Das Ergebnis ist 0,333333.. = 1/3.

JH = m ·L2/24

Das Trägheitsmoment J der gesamten Platte ist demnach J = m ·L2/12.

mWippe = 1,8 kg; LWippe = 0,7 m → JWippe = 0,0735 kg ·m2

Schwingungsfrequenz f der Wippe 10 Hz



1.12.5 Über das Schaukeln

Ganz alltägliche Erscheinungen werden selten hinterfragt. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Schaukelbewegung eines Kindes.

Warum ist diese Bewegung möglich ?

Nicht eine Gewichtsverlagerung macht das Schaukeln möglich, wie so oft vermutet wird, sondern Drehimpulsänderungen des Körpers in Bezug auf den Körperschwerpunkt. Es genügt, wenn man den eigenen Körper um seinen eigenen Schwerpunkt hin und her dreht, wobei rechts von der Drehachse A die Arme gebeugt und links davon gestreckt werden (siehe Abb. 1.12.17). Die Beine müssen hierbei nicht ausgestreckt und wieder eingezogen werden. In der Abb. 1.12.17 ist eine Schaukel zu sehen. Zwei Stangen St, die an einer Achse A pendeln, halten eine Person P, die sich auf ihrem Sitz um den eigenen Schwerpunkt dreht.

Wie ist es möglich, dass P sich selbst mit Hilfe der Stangen in Bewegungsrichtung beschleunigen kann ?

Die beschleunigende Kraft kann doch nicht aus dem System (Stangen-Körper) kommen, sie muss von außen wirken.

Wie kommt es zu einer nach vorne gerichteten Kraft, wenn P an den Stangen zieht ?

Abb. 1.12.17

Die Kräfte der schaukelnde Person auf die Stangen St müssen sich gegenseitig aufheben, da andernfalls der Schwerpunkt dieser Stangen mehr und mehr von dem Schwerpunkt der Person abweichen müsste. Neben der Zugkraft FZ der Arme muss noch eine zweite weniger auffällige Kraft FS existieren, die P über seinen Sitz auf die Stangen ausübt.

FZ = - FS

Die Kräfte heben sich auf, nicht aber die zugehörenden Drehmomente. Wenn die schaukelnde Person an den Stangen zieht, dann übt sie in Bezug auf die Achse A mit der Kraft FS ein größeres Drehmoment aus als mit der Kraft FZ . Somit hat man ein Drehmoment im Sinne einer Linksdrehung.

Unter dem Kräftepaar (FZ, FS) werden die Stangen St mit einer Kraft FA gegen die Drehachse A gedrückt. F, die Gegenkraft zu FA, wirkt von außen; es ist die eigentliche Ursache für die Verstärkung der Schwingungsbewegung. Man kann sagen, P stößt sich während der Vorwärtsbewegung mittels der Stangen St von der Achse A ab.

Es wurde anfangs darauf hingewiesen, dass die Arme rechts von der Drehachse gebeugt und links von ihr gestreckt werden. Dass sie rechts von der Achse durchgehend gebeugt werden, auch wenn eine Rechtsdrehung beginnt, verwundert zunächst, denn es bleibt meistens unbemerkt, dass P beim Zurückschwingen seine Eigendrehung um den Körperschwerpunkt abbremst, auf die Stangen St drückt und auf diese Weise mit FS ein die Rechtsdrehung begünstigendes Drehmoment ausübt.

Wie verhält es sich auf der linken Seite der Drehachse ?

Bei einer Bewegung nach links sind die Arme unter der Achse am stärksten gebeugt. P beginnt unter A mit der Streckung der Arme, drückt kräftig gegen die Stangen St und übt auf diese Weise mit FS ein insgesamt nach rechts drehendes Moment aus. Hat er die größte Schwingungsweite erreicht, dann bremst er bei weiterer Streckung der Arme seine Drehung ab, womit die beginnende Linksdrehung unterstützt wird.



1.12.6 Kreisel und Kreiselkompass

1. Der Kreisel

Ein Kreisel ist ein starrer Körper, der für eine Drehbewegung vorgesehen ist, bei der einer seiner Punkte an einem bestimmten Ort bleibt (siehe Abb. 1.12.18). In der nebenstehenden Abbildung ist ein solcher Kreisel zu sehen. Er wurde in einer Schräglage in eine schnelle Drehung versetzt. Das obere Ende seiner lose auf einem Täger sitzenden Rotationsachse bewegt sich auf einem Kreis. Präzession der Kreiselachse heißt diese Bewegung („praecedere“ (lat.) = das Vorangehen). Zur Erklärung dieser Erscheinung dient die Abb. 1.12.19.

Abb. 1.12.18                     Abb. 1. 12.19

Ein zylindrischer Kreisel hat den Drehimpuls L, der während eines kleinen Zeitabschnitts Δt um ΔL geändert wird. ΔL/Δt wird von dem nach unten wirkenden Drehmoment der Gewichtskraft mit dem Betrag m·g·r verursacht. Als Bezugspunkt für Drehimpulse und Drehmomente ist der Drehpunkt P gewählt. Der Kreisel wirkt mit einem dem Betrage nach gleich großen Gegenmoment der Gewichtskraft entgegen und hält somit seinen Schwerpunkt auf der angedeuteten Kreisbahn (Radius r). Die Umlauffrequenz des Kreiselschwerpunkts heißt Präzessionsfrequenz f. ω’ ist die zugehörige Kreisfrequenz. Mit Blick auf die Abb. 1.12.19 findet man sehr schnell zu einer Gleichung für ω’. Die Geschwindigkeit |ΔL|/ Δt, mit der sich die Vektorspitze von L bewegt (L liegt auf der Figurenachse), verhält sich zur Geschwindigkeit ω’ · r des Schwerpunkts S so wie |L| zu d (Strahlensatz).

(|ΔL|/ Δt)/ (ω’· r) = |L|/ d → |ΔL|/ Δt = |L| · ω’ · r/ d

|ΔL|/ Δt ist gleich m· g · r

Die bei P angreifende Zentripetalkraft FZ ist ohne Bedeutung, denn FZ hat kein Drehmoment in Bezug auf P.

m· g · r = |L| · ω’ · r/ d → m· g · d = |L|· ω’; |L| = J · ω

ω ist die Winkelgeschwindigkeit des Zylinders um die präzedierende Achse.

ω’ = m· g · d / (ω ·J) → f = ω’ /(2· π) = m· g · d / (ω ·J· 2 · π)

f nimmt mit abnehmendem ω zu.

Wichtige Anmerkung: Das hier gewonnene Ergebnis ist nur annähernd richtig. Es beschreibt den Sachverhalt nur dann zufriedenstellend, wenn ω’ sehr klein gegenüber ω ist, denn mit der Drehung der Figurenachse hat man einen zusätzlichen Drehimpuls Lʼ , der dem Schwerpunkt des Rotationskörpers zuzuordnen ist (siehe Abb. 1. 12.20). Die waagrechte Komponente von Lʼ dreht sich mit ω’, erfährt demzufolge eine Änderung, der ein Teil des Drehmoments mit dem Betrag m· g · r zugeordnet werden muss. Bei waagrechter Lage der Figurenachse (siehe Abb. 1. 12.21) ist Lʼ ein konstanter, senkrecht nach oben gerichteter Vektor. Nur in diesem Fall ist das obige Ergebnis fehlerfrei. In Abb.1.12.20 ist ein Kreisel mit waagrechter Rotationsachse zu sehen. Es handelt sich um den schon mehrfach erwähnten Pendelkreisel. Hier ist dieses Gerät an einem durch seinen Schwerpunkt geführten, waagrechten Rundstab aufgehängt. Die tragenden Fäden laufen nach oben hin zusammen. Wird im Abstand d vom Schwerpunkt ein Gewicht mit der Masse m angehängt, dann dreht sich der Kreisel um eine senkrechte Achse mit ω’ = m· g · d / (ω ·J) .

Abb. 1.12.20         Abb. 1.12.21

Mit der Versuchsanordnung der Abb. 1. 12.21 können noch 2 andere interessante Phänomene gezeigt werden:



1. Die Nutation

Hierunter versteht man die Kreiselbewegung, die durch einen Stoß veranlasst wird. Erteilt man dem Kreisel einen Stoß so, wie dies in der Abb. 1.12.21 durch einen Pfeil angedeutet ist, dann erhält der Zylinder zu dem vorhandenen Drehimpuls LZ einen Zusatzimpuls LS (siehe Abb. 1.12.22). Wirkt kein Drehmoment am Kreisel, dann bleibt der neu gewonnene Drehimpuls L (Impulssumme L = LZ + LS) konstant. Um ihn kreist nun die zu LZ parallele Figurenachse, wobei sie einen Kegelmantel (Nutationskegel) beschreibt.

Abb. 1.12. 22

2. Stabilisierung der Achsenrichtung

Schwenkt man das Pendel ohne angehängtes Gewicht mit den Haltefäden hin und her, dann behält die Rotationsachse ihre Richtung. Hiermit wird deutlich, wie durch den Drehimpuls eine Richtung stabilisiert wird. So wird verständlich, dass ein rollendes Rad weniger zum Umfallen neigt als ein stehendes.

    Der Kreiselkompass

        Abb. 1.12.23                             Abb. 1.12. 24                                    Abb. 1.12.25

In Abb. 1.12.23 und 1.12.24 ist der Pendelkreisel auf einer rotierenden Scheibe S zu sehen. Der durch seinen Schwerpunkt geführte Rundstab R ist in S drehbar gelagert. Während der Scheibenrotation dreht sich der Pendelkreisel um R, bis seine Rotationsachse parallel zur Scheibenachse verläuft.

Zur Erklärung dieses Verhaltens dient die Abb. 1.12.25. Wir setzen voraus, dass der Pendelkreisel an einer Drehung um R gehindert wird. In diesem Fall erfährt er die Drehimpulsänderung ΔL, die durch ein Drehmoment verursacht wird, welches den Pendelkreises an einer Drehung nach vorne hindert. Ohne Behinderung erfolgt demnach diese Drehung.

Der Pendelkreisel auf der rotierenden Scheibe ist mit einem Kreiselkompass auf der rotierenden Erde vergleichbar. Kernstück des Kreiselkompasses ist ein um eine waagrechte Achse rotierender Zylinder. Die waagrechte Achse kann sich um eine senkrechte Achse drehen. Ist die waagrechte Achse zunächst von Osten nach Westen gerichtet, dann dreht sie sich während der Drehung der Erde in eine Meridianebene.